Die Gebeine von Zora
bezüglich Doktor Dyckman bringen?«
»Aber gewiss kann ich das!« antwortete Marot. »Ich sah die Platzwunden im Gesicht der armen Frau, als sie in unser Lager kam. Und ich versichere Euch, das waren keine Wunden, wie man sie sich bei einem Sturz zuzieht. Auch wenn ich nicht Augenzeuge war, wie sie verprügelt wurde, so deutet doch alles darauf hin, dass sie in der Tat das Opfer brutaler Schläge war.
Tatsache ist, dass Doktor Dyckman Meister Reiths frühere Ehefrau war und dass sie noch immer eine tiefe Zuneigung zueinander hegen. Ich wäre nicht überrascht, wenn sie wieder heiraten. So war es nur natürlich, dass sie bei ihm Zuflucht suchte, als Foltz sie misshandelt hatte.«
»Warum hatte er sie geschlagen?«
»Er hatte sie unter schnöder Ausnutzung ihrer prekären Lage – sie stand mittellos da und wusste nicht mehr ein noch aus – dazu gepresst, ihn, als Gegenleistung dafür, dass er sie als Sekretärin anstellte, als Liebhaber zu akzeptieren! Als sie und Reith sich in seinem Lager wiederbegegneten, bemerkte er ihre zärtlichen Blicke und schloss daraus, dass sie sich noch immer liebten. Da entbrannte er in Eifersucht und schlug sie.«
»Wie ist das zu verstehen: Riefs ›frühere Ehefrau‹?«
»Sie erlangte eine Ehescheidung nach den Gesetzen Novorecifes, nachdem sie sich wiederholt gestritten hatten.«
»Doktor Maghou!« donnerte die Hohepriesterin.
»Ja, Madame?«
»Was Meister Rief während seiner Ehe mit dieser Erdenfrau ein chronischer Trunkenbold?«
»Gewiss nicht. Ich habe ihn im Verlaufe meiner Expedition kennen gelernt als einen mäßigen äußerst zurückhaltenden Trinker.«
»Frönte er dem Glücksspiel?« bohrte Lazdai weiter.
»Nein.«
»War er verschwendungssüchtig?«
»Nein.«
»War er ein Hurenbock?«
»Ich habe nichts gehört, was darauf hinweisen könnte.«
»Schlug er sie?«
»Ich bin sicher, dass er das nicht tat.«
»Nahm er Ramandu oder andere Rauschdrogen?«
»Ganz bestimmt nicht.«
»War er in Verbrechen oder Korruption verwickelt?«
»Das glaube ich nicht.«
»Neigt er zu Übellaunigkeit und Hadersucht?«
»Ganz und gar nicht! Das kann ich aus meiner eigenen Erfahrung heraus versichern.«
»Neigte er zu sexuellen Abirrungen oder Perversionen, oder gebrach es ihm an sexueller Potenz?«
»Ich habe keinen Grund, das eine oder das andere anzunehmen.«
»Mit anderen Worten, Ihr würdet ihn als einen Mann von gutem, moralischem Charakter bezeichnen, in jeder Hinsicht dazu befähigt, die Rolle eines Ehegesponses zu erfüllen?«
»Ganz gewiss!«
»Doch obgleich er frei war von den Lastern und Unzulänglichkeiten, welche man unter Völkern mit zivilisierten Moralvorstellungen als hinreichenden Grund für die Auflösung einer Ehe erachten würde, geht sein Eheweib hin und lässt sich wegen ein paar nichtiger Zankereien von ihm scheiden! Das bestätigt mich in meiner Meinung, dass ihr Ertsuma mit eurer Sitte, Eure Ehegesponse alle paar Jahre, ganz wie es euch beliebt, unter fadenscheinigen Vorwänden auszuwechseln, genauso unmoralisch und verkommen seid wie die kunterbunt miteinander kopulierenden Balhibuma. Mit dem Unterschied, dass die wenigstens keinen Hehl daraus machen und ihre Hurerei ganz offen treiben. Sie haben die Ehe abgeschafft und bezeichnen ihre jeweiligen Kopulationspartner mit dem Begriff Jagain, was schlicht heißt: ›der oder die, mit dem oder der ich zur Zeit kopulieren Jetzt könnt Ihr vielleicht verstehen, warum wir in Chilihagh den terranischen Einfluss als verderblich betrachten. Entschuldigt die kurze Abschweifung, Herr Ankläger, und fahrt mit dem Verhör fort.«
Das Verhör quälte sich mühsam dahin. Mit immer wieder denselben Fragen versuchten Anklage wie Verteidigung, die Widersprüche zwischen den Aussagen Foltz’ einerseits und Reiths und Marots andererseits aufzuklären. Foltz beharrte darauf, dass er versucht hätte, seine Kollegen davor zu warnen, die Wahre Lehre Bákhs zu untergraben, und sich sogar bemüht hätte, sie zum Wahren Glauben zu bekehren. Reith und Marot hingegen bestritten, dass er irgend etwas dergleichen unternommen hätte. Marot wiederholte die Argumente, die er bereits in der Diskussion mit Dasht Kharob vorgebracht hatte, dass man das Buch des Bákh bildlich verstehen müsse: dass Bákh, da er allmächtig sei, die Länge der ›Tage‹, die er zur Vollendung seiner Schöpfung benötigt hätte, nach eigenem Gutdünken hätte bestimmen können.
Der Verteidiger und der Ankläger berieten sich kurz im
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