Die Gebrüder Kip
morgen tritt das Gericht zusammen und dann wär’ es zu spät. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren und ich rechne darauf, daß du den Betrunkenen spielen wirst.
– Ohne etwas genossen zu haben?
– Keinen Tropfen, Kyle! Die Sache ist ja nicht so schwierig. Du stehst auf, fängst an zu schreien, zu brüllen, bändelst mit andern Zechern Streit an, selbst auf die Gefahr hin, den kürzeren zu ziehen…
– Und wenn ich gehörige Schläge bekomme?…
– So verdopple ich die Belohnung!« versprach Vin Mod.
Diese Zusicherung schien bei Kyle jedes Zögern niederzuschlagen, so daß es ihm auf einige Püffe mehr oder weniger nicht mehr ankam. Er erhob nur noch einen einzigen Einwand.
»Wenn es unbedingt erforderlich ist, mit Flig Balt zu sprechen, sagte er, warum soll ich es unternehmen, zu ihm zu kommen. Warum tust du es nicht selbst?
– Nicht so viele Worte, Kyle! erwiderte Vin Mod, dem schon die Geduld auszugehen drohte. Ich muß unbedingt frei bleiben, muß zur Stelle sein, wenn Flig Balt abgeurteilt wird. Einmal im Loche, kommt man vor achtundvierzig Stunden nicht wieder an die Luft, und ich wiederhole dir, ich muß unbedingt da sein…«
Als letztes Hilfsmittel griff Vin Mod in die Tasche seiner Jacke, holte ein Goldstück heraus und ließ es dem Matrosen in die Hand gleiten.
»Als Anzahlung, sagte er, das übrige folgt, wenn du wieder herauskommst.
– Und wenn man mich entlassen hat, wo werd’ ich dich dann finden?
– Hier… jeden Abend.
– Abgemacht, rief Kyle. Nun aber wenigstens ein Glas Gin, damit ich in Zug komme. Dann spiel’ ich den Betrunkenen desto besser.«
Er erhob das mit dem brennend scharfen Branntwein gefüllte Glas und leerte es in einem Zuge.
»Es ist Zeit, die höchste Zeit, drängte Vin Mod, also passe gut auf! – Was ich Flig Balt mitzuteilen habe, hätte ich ja aufschreiben können und du brauchtest ihm dann nur ein Blättchen Papier zu überbringen. Wenn man das aber bei dir fände, wäre die ganze Geschichte verfehlt. Übrigens handelt es sich nur um sehr wenige Worte, die du dir gewiß merken kannst. Sobald dich die Polizei in die Hast abgeliefert hat, bemühe dich, mit Flig Balt zusammenzutreffen. Gelingt dir das nicht heut Abend, so muß es morgen geschehen, ehe man ihn nach dem Seegerichte abholt.
– Ganz recht, Mod, antwortete Kyle, und was soll ich ihm sagen?
– Du wirst ihm sagen, daß die Sache geschehen sei und er könne ohne Bedenken die Anklage vorbringen…
– Gegen wen denn?
– Das weiß er schon.
– Und weiter nichts?
– Nein… weiter nichts.
– Gut, Mod, erwiderte Kyle, und nun wirst du mich betrunken sehen, als wäre ich der schlimmste Zechbruder von den Untertanen Ihrer Majestät!«
Kyle erhob sich dabei schwerfällig, schwankte im Fortgehen, fiel einmal hin und richtete sich mit Mühe wieder auf, indem er sich an den ersten besten Tisch anklammerte. Er bedrohte die Zecher, die ihn mit kräftiger Faust zurückstießen. Dann schimpfte er auf den Wirt, weil dieser ihm nichts mehr zu trinken geben wollte und versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, daß der Mann durch die offen stehende Tür bis zur Straße hinaustaumelte.
Ganz – hier in doppeltem Sinne – außer sich, rief der Gastwirt um Hilfe. Zwei bis drei Polizisten kamen herbeigeeilt und fielen über Kyle her, der nur schwachen Widerstand leistete, um sich schmerzhafte Schläge zu ersparen.
Schließlich wurde er leicht gefesselt, mitten durch einen gröhlenden Haufen abgeführt und im Hafengefängnis eingesperrt.
Vin Mod war ihm nachgefolgt, und als er sah, daß sich das Tor der Anstalt hinter Kyle geschlossen hatte, kehrte er befriedigt nach dem Gasthofe zu den Fresh-Fishs zurück.
Viertes Kapitel.
Vor dem Seegerichte.
Es kann nicht wundernehmen, daß die bedauerlichen Vorkommnisse auf der letzten Fahrt des »James-Cook« in Hobart-Town Aufsehen erregt hatten und eifrig besprochen wurden. Die unter noch unaufgeklärten Umständen erfolgte Ermordung des Kapitäns Harry Gibson einerseits, die von Flig Balt versuchte und von Karl Kip unterdrückte Meuterei anderseits… mehr bedurfte es nicht, unter den Einwohnern der Hafenstadt eine hochgradige Erregung zu schüren.
Von dem ruchlosen Morde hatte man nicht eher etwas gewußt, als bis die Brigg mit der Flagge in Schau wieder im Hafen eingelaufen war.
Was die Meuterei betraf, war man einstimmig der Ansicht, daß das Seegericht Flig Balt und seinen Helfershelfer schuldig sprechen und den Bootsmann zu harter Strafe verurteilen werde,
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