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Die Gebrüder Kip

Die Gebrüder Kip

Titel: Die Gebrüder Kip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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fünfzigjährige Kapitän Skirtle verfügte über die Energie, die seine oft recht schwierigen Obliegenheiten erheischten: er konnte unerbittlich sein, wo das notwendig war, erwies sich aber gerecht und milde gegen die Armen, die sich seiner Güte verdient machten. Ahndete er auch schwere Vergehen gegen die Anstaltsordnung mit den härtesten Strafen, so duldete er doch keinen Mißbrauch ihrer Gewalt bei den ihm untergebenen Beamten. Das strenge Reglement, das er den Deportierten gegenüber beobachtete, hielt er gegenüber allen Angestellten, denen die Aufsicht über diese zufiel, unverändert aufrecht.
    Der Kapitän Skirtle wohnte in Port-Arthur schon seit zehn Jahren mit seiner Gattin, einer Vierzigerin, seinem Sohne William und seiner Tochter Belly, die im vierzehnten und im zwölften Jahre standen. In der schon erwähnten Villa weilend, kamen Frau Skirtle und ihre Kinder mit den Strafgefangenen niemals in Berührung. Nur der Kapitän selbst kam jeden Morgen nach der Anstalt, hielt sich hier meist den größten Teil des Tages auf und kehrte erst des Abends in seine Villa zurück.
    Jeden Monat unternahm er kurze Inspektionsfahrten ins Innere der Halbinsel und bis zur Landenge des Adlersperbers, wobei er die verschiedenen Wachtposten besichtigte und die mit der Herstellung von Wegen beschäftigten Abteilungen an sich vorüberziehen ließ. Was seine Familie betraf, unternahm diese häufiger Spaziergänge um Port-Arthur, durch die herrlichen Waldungen der Nachbarschaft, oder der Aviso brachte sie, sobald sie es wünschten, nach Hobart-Town, so daß ihre Beziehungen zu der Hauptstadt Tasmaniens nie völlig abgebrochen wurden.
    Bei seiner Ankunft in Point-Puer ließ sich der Kommandant die Kinder vorführen, die sich seit seinem letzten Besuche irgendwie vergangen hatten. Er ermahnte sie dann oder belegte sie mit den vorschriftsmäßigen Strafen. Doch welchen Grad der Verworfenheit hatten diese kleinen Ungeheuer zuweilen schon erreicht!
    Ein Knabe, der auf einen Aufseher erzürnt war, antwortete, als man ihm den Galgen in nahe Aussicht stellte, wenn er sich nicht bessere: »Meinetwegen! Dann geh’ ich nur den Weg, den meine Eltern mir gezeigt haben, doch bevor ich baumle, bring’ ich diesen Aufseher noch um die Ecke!«
    Nach seinem Besuche in Point-Puer begab sich Skirtle nach der Strafanstalt für Erwachsene, und hier wurden ihm am 5. April Karl und Pieter Kip vorgeführt.
    Der Kapitän war vollkommen unterrichtet von dem Prozesse, der in weiten Kreisen ungeheures Aufsehen gemacht hatte, dem Prozesse, der mit einer Verurteilung der Angeklagten zum Tode geendet hatte. Hatte ihnen die Gnade der Königin auch das Leben geschenkt, so ruhte doch noch immer das Verbrechen eines unter den obwaltenden Umständen noch häßlicheren Mordes nicht weniger auf den beiden Brüdern. Sie sollten also mit äußerster Strenge behandelt und auf keinen Fall sollte ihnen eine Erleichterung ihrer Lage gewährt werden.
    Immerhin bemerkte der Kapitän Skirtle mit einiger Verwunderung die Haltung, die die beiden Holländer in seiner Gegenwart bewahrten. Nach Beantwortung der gewöhnlichen, ebenso an sie gerichteten Fragen setzte Karl Kip dann noch mit klarer, sicherer Stimme hinzu:
    »Die menschliche Rechtsprechung hat uns verurteilt, Herr Kommandant, wir sind aber unschuldig an der Mordtat, der der Kapitän Gibson zum Opfer gefallen ist!«
    Noch einmal hatten sie, wie vor dem Kriminalgerichtshofe, die Hände ineinander gelegt, das war aber das letzte Mal, daß sie sich ihrer brüderlichen Liebe und Anhänglichkeit versichern konnten.
    Die Aufseher führten sie getrennt hinweg, da der Befehl erteilt war, sie nicht mehr zusammenkommen zu lassen. Jeder einer anderen Abteilung zugewiesen, konnten sie sich – abgesehen von der Unmöglichkeit, miteinander zu sprechen – kaum jemals, wenn auch nur flüchtig wiedersehen.
    Hiermit begann für sie dauernd das schreckliche Leben der Verbannten in der gelben Sträflingstracht, die für Port-Arthur vorgeschrieben war. Mit einem anderen Sträfling zusammengekettet, wie das in anderen Ländern Gebrauch ist, wurden sie jedoch hier nicht. Es gereicht Großbritannien zur Ehre, daß diese mehr seelische als körperliche Qual in seinen Kolonien nie zugelassen worden ist. Immerhin umschließt eine etwa drei Fuß lange Kette die Knöchel des Gefangenen, und dieser muß sie beim Gehen bis zum Gürtel emporgehoben tragen.
    Kommt eine dauernde Aneinanderkettung in Port-Arthur auch nicht vor, so werden die

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