Die Gebrüder Kip
Inhalt:
»Übermorgen, am 5. Mai, sobald sich bei den Arbeiten unter freiem Himmel eine Gelegenheit bietet, sollen alle drei die Saint-Jamesspitze an der Westküste der Storm-Bai zu erreichen suchen, wohin das Schiff ein Boot entsenden wird. Hätte das Wetter ihm nicht gestattet, die Reede von Hobart-Town zu verlassen und in die Bai einzulaufen, dann warten, bis es vor jener Spitze sichtbar wird, und vom Abend bis zum Morgen scharf darauf Acht haben…
»Gott beschütze Irland und komme eueren amerikanischen Freunden zu Hilfe!«
Der Zettel zeigte keinen Namen, weder den der Personen, für die er bestimmt war, noch den der Absender, die ihn in ebenso kurzen wie klarverständlichen Ausdrücken abgefaßt hatten. Er verriet nicht einmal den Namen des von Amerika nach Hobart-Town geschickten Dampfers, dessen Bestimmungsort unbekannt blieb.
Jedenfalls war aber der Name Irland darauf vollständig ausgeschrieben, es unterlag also keinem Zweifel, daß er an die Feniers in Port-Arthur gerichtet war. Kam er dem Kapitän-Kommandanten vor die Augen, so täuschte dieser sich gewiß nicht: die Sache betraf eine verabredete Flucht O’Briens und Macarthys, die damit unausführbar wurde.
Wer hatte denn nun den von Walter niedergelegten Zettel gefunden, der so bestimmte Anordnungen enthielt und die Flüchtlinge nach achtundvierzig Stunden nach der Saint-Jamesspitze rief?…
Das waren die Gebrüder Kip.
Wie schon erwähnt war ihnen das Hin-und Hergehen Walters auf der Straße aufgefallen; das erweckte in ihnen den Gedanken, dieser Mann suche sich vielleicht mit einem der Sträflinge in Verbindung zu setzen. Immerhin hatte es ihre Aufmerksamkeit nicht in dem Maße erregt, wie die Farnhams und seiner Landsleute. Sie hatten nicht, wie diese, bemerkt, daß Walter ein Blatt von einem Baume pflückte, ein Stückchen Papier hineinwickelte und es dann zu Boden fallen ließ. Daß der Zettel dennoch in ihren Besitz kam, beruhte auf einem Zufalle.
Während die Arbeiterrotten mit dem Fällen von Bäumen beschäftigt waren, gingen auch Pieter und Karl Kip auf der Landstraße hin und her, um die Grenzbäume anzuzeichnen.
Als Pieter Kip, der seinem Bruder vorausging, sich an dem betreffenden Baume befand, ging er erst einmal darum herum, ehe er seine Hippe erhob, um einen Schnitt in den Stamm zu machen.
Da erblickte er zwischen zwei Wurzeln ein halbzusammengerolltes grünes Blatt, aus dem ein Stückchen Papier hervorguckte. Als er es aufgehoben hatte, sah er, daß es einen Zettel mit einigen geschriebenen Zeilen enthielt.
Mit Blitzesschnelle durchflog Pieter Kip die wenigen Worte, und nachdem er sich überzeugt hatte, von niemand beobachtet worden zu sein, steckte er den Zettel in die Tasche.
Sein Bruder kam ihm bald nach, und während beide ihre Arbeit fortsetzten, machte er ihm Mitteilung von seinem Funde.
»Es handelt sich um eine vorbereitete Flucht… ja ja… um eine Flucht, murmelte Karl Kip, um Verurteilte, die ihre Freiheit wieder gewinnen wollen… um Verbrecher… während wir…
– O, Karl, es sind keine Mörder oder Räuber, antwortete Pieter Kip. Die Sache betrifft die beiden Irländer O’Brien und Macarthy. Es sind Freunde von ihnen, die ihr Entweichen ermöglichen wollen!«
Der Zettel konnte ja tatsächlich nur für die nach Port-Arthur deportierten Irländer bestimmt sein.
»In der Anstalt befinden sich aber nur zwei Feniers, meinte Karl Kip, und wenn du richtig gelesen hast und ich dich richtig verstanden habe, so ist hier von drei Flüchtlingen die Rede.«
Natürlich ein unerklärbarer Umstand für die beiden Brüder, die von der Interessengemeinschaft und der Verständigung zwischen Farnham und dessen Landsleuten keine Ahnung hatten.
»Drei? wiederholte Karl Kip. Wer mag es denn sein, der mit ihnen fliehen soll?
– Der dritte, erwiderte Pieter Kip, der dritte ist vielleicht der Überbringer des Zettels. Da fällt mir ein: sollte das nicht der Mann sein, den wir die Straße auf und ab wandeln sahen? Er suchte sich wahrscheinlich O’Brien und Macarthy zu nähern.«
Eben jetzt bemerkte Pieter Kip die beiden Irländer, die einige Worte mit einem der Aufseher, mit dem wechselten, der ihre Rotte führte. Da ging ihm plötzlich ein Licht auf.
Dieser Aufseher, Farnham, war ja ein Irländer wie jene… Sollte er der dritte sein?…
Inzwischen war es sechs Uhr geworden. Der Oberaufseher hatte das Zeichen zum Rückmarsch gegeben, und zu zwei und zwei von ihren Aufsehern geordnet, setzten sich die einzelnen Rotten
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