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Die Gebrüder Kip

Die Gebrüder Kip

Titel: Die Gebrüder Kip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Kapitäns Gibson, die verwirkte Freiheit wieder?
    Pieter Kip hatte an alles das gedacht, gleichzeitig aber auch an die unablässigen Bemühungen des Herrn Hawkins, eine Wiederaufnahme ihres Prozesses herbeizuführen… nein, selbst wenn es ihm angeboten würde, zu entfliehen, er hätte das abweisen müssen!
    Wenn er jedoch auch unerschüttertes Vertrauen auf die Zukunft hatte, so teilte Karl das doch keineswegs. Auf eine ungewisse und fernliegende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ruhig zu warten, dazu konnte sich dieser nun einmal nicht entschließen. Dennoch machte was Pieter gegen ihn äußerte, auf ihn doch einen sehr tiefen Eindruck. Bebenden Herzens und in der Seele erregt, lauschte er den Worten des Bruders und empfand, daß sein Widerstand erlahmte.
    »Höre mich an, liebster Bruder!… Ich habe mir alles wohl überlegt. Ich gebe zu… ja, nach dem Dienste, den wir ihnen leisten werden, maß ich zugeben, daß O’Brien und Macarthy es gar nicht abschlagen könnten, uns gleichzeitig mit ihnen entfliehen zu lassen, selbst wenn sie uns als Mörder ansehen…
    – Die wir nicht sind! warf Karl Kip dazwischen ein.
    – Die wir aber in ihren Augen, wie in denen so vieler, wenn nicht aller anderen sind… vielleicht mit Ausnahme des Herrn Hawkins. Nun sage mir, wenn es uns gelänge, aus der Strafanstalt zu entfliehen, das bewußte Schiff zu erreichen und nach Amerika zu entkommen… sage mir: was würden wir damit gewonnen haben?
    – Die Freiheit, Pieter, die Freiheit, die über alles geht!
    – Nennst Du denn das schon Freiheit, Bruder, wenn wir genötigt sind, uns unter falschem Namen zu verbergen, sobald die Polizei aller Länder von unserer Flucht unterrichtet ist und wir überall von einer Auslieferung bedroht sind?… Nein, mein armer Karl, wenn ich mir vorstelle, welches Leben wir unter solchen Verhältnissen zu führen hätten, da frag’ ich mich, ob es denn doch nicht besser wäre, im Bagno auszuharren, nicht ratsamer, hier zu warten, bis unsere Unschuld an den Tag kommt.«
    Karl Kip erwiderte kein Wort. In seinem Innern tobte ein furchtbarer Kampf. Er erkannte gut genug das Gewicht und die Berechtigung der Gründe, die sein Bruder gegen einen Fluchtversuch ins Feld führte. Im Fall des Gelingens stand ihnen mit dem Kainszeichen des Verbrechens an der Stirne da draußen nur ein elendes Leben bevor. In den Augen der beiden Feniers und ihrer Genossen blieben die Gebrüder Kip doch wie bisher nur die Mörder des Kapitäns Gibson.
    Die ganze Nacht sprachen sie in ähnlicher Weise über diese Angelegenheit weiter und Karl Kip mußte sich schließlich fügen. Für all und jeden, selbst für Hawkins, wäre eine Flucht gleich dem Eingeständnisse der Schuld gewesen.
    Inzwischen wurden O’Brien, Macarthy und Farnham von einer leicht erklärlichen Unruhe verzehrt. Kein Zweifel… Farnham konnte sich nicht getäuscht haben: der Mann, der die Straße auf und ab ging, war jener Walter gewesen, durch den er die erste Mitteilung erhalten hatte. Ein in ein grünes Blatt gewickelter Zettel war am Fuße des betreffenden Baumes niedergelegt worden, doch wenn sich dieser nicht mehr vorfand, war er da etwa dem Kapitän-Kommandanten schon ausgehändigt worden? Dann wußte also Skirtle, daß unter den auf den Zettel angegebenen Umständen eine Flucht vorbereitet war, und daß es sich dabei um die beiden Irländer O’Brien und Macarthy, sowie um deren Landsmann Farnham handelte. Das hatte bestimmt die allerstrengsten Maßregeln gegen diese drei zur Folge, und sie konnten damit auf die Hoffnung verzichten, ihre Freiheit jemals wieder zu erlangen.
    Bis zum Tagesanbruch warteten deshalb die Unglücklichen, daß bei ihnen Polizeisoldaten erscheinen würden, sie in die Kerkerzellen der Anstalt abzuführen.

    Der nächste Tag war ein Sonntag, und an einem solchen wurden die Sträflinge nicht mit Arbeiten außerhalb der Anstaltsmauern beschäftigt. Die Hausordnung verpflichtete sie vielmehr, in der Kapelle dem Gottesdienste beizuwohnen, nach dessen Schlusse sie sich in den Anstaltshöfen aufhalten durften.
    Als die Stunde zum Betreten der Kapelle schlug, fühlten O’Brien und Macarthy ihre Befürchtungen ein wenig schwinden; da man sie bis dahin unbehelligt gelassen hatte, schlossen sie daraus, daß der Kapitän-Kommandant von dem verhängnisvollen Zettel noch keine Kenntnis haben könne.
    Sobald die Sträflinge ihren gewohnten Platz eingenommen hatten, begann der Geistliche die Sonntagsandacht, die durch keinen Zwischenfall

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