Die Gebrüder Kip
Hawkins.
Das erschien ja nicht unmöglich. Leute, zwanzig Tage nach dem Zusammenstoß, konnten die Wrackstücke des Dreimasters reckt wohl bis hierher getrieben worden sein.
»Herr Kapitän, begann da Pieter Kip, würden Sie uns gestatten, die Trift näher zu untersuchen? Wenn sie von der ›Wilhelmina‹ herrührt, könnten wir dort vielleicht noch mancherlei finden…
– Und außerdem, fiel Hawkins ein, wär’ es ja möglich, daß sich noch Menschen darauf befänden, die zu retten es die höchste Zeit wäre.«
Etwas weiteren bedurfte es nicht: sofort erging der Befehl, in den Wind zu kommen und zwei bis drei Kabellängen von der Trift zu brassen.
Einen Augenblick flatterten die Segel, dann spannten sie sich an und die Brigg glitt einige Minuten in der veränderten Richtung hin.
»Ja ja, rief jetzt Karl Kip, das ist die ›Wilhelmina‹… das sind die Reste des Hinterdecks mit dem Deckhause.«
Flig Balt und Vin Mod, die nebeneinander standen, sprachen gedämpften Tones miteinander.
»Das fehlte uns bloß noch, da von dem Wracke vielleicht noch ein oder zwei Mann aufzunehmen!«
Der Bootsmann begnügte sich mit einem Achselzucken. Es war ja kaum anzunehmen, daß sich noch Schiffbrüchige auf dem Wrack befänden.
In der Tat wurde auch niemand sichtbar. Befanden sich hier noch einzelne Menschen, so hätten sie sich, und selbst wenn sie vor Entbehrung halbtot gewesen wären, jetzt auf jeden Fall gezeigt, hätten der Brigg sich gewiß schon längst durch Signale bemerkbar gemacht… doch nein: hier war keine Seele.
»Das kleine Boot ausgesetzt!« befahl Gibson, der sich an Flig Balt wandte.
Das Boot wurde sofort von seinen Dävits hinabgelassen. Drei Matrosen, Vin Mod, Wickley und Hobbes, nahmen auf den Ruderbänken Platz. Dann stiegen Nat Gibson und die beiden Brüder ein, von denen Karl Kip das Steuer ergriff.
Es war wirklich das Achterdeck der »Wilhelmina«, was man hier vor sich sah, und darauf stand das Deckhaus äußerlich ziemlich unversehrt von dem Schiffsunfalle. Der ganze Vorderteil fehlte; er mochte wohl infolge des Gewichtes der Fracht versunken sein, wenn ihn die Meeresströmung nicht schon weiter weggetragen hatte. Der Schiffsjunge Jim, der bis zum Eselshaupt des Großmastes hinausgeschickt worden war, rief aber herunter, daß auf dem Meere nirgends noch etwas zu sehen wäre.
Am unbeschädigten Heck des Schiffes las man die beiden Namen:
»Wilhelmina. Rotterdam.«.
Das Boot legte an dem Wracke an. Stark nach links geneigt schwamm noch das Deckhaus mit einem Teile des Deckes, auf dem auch die. jetzt gänzlich überflutete Kambüse gestanden hatte. Von dem Besanmast, der mitten durch die gemeinschaftliche Kajüte ging, ragte nur noch ein zwei bis drei Fuß langer Stumpf empor. Der Mast war in der Höhe der Kimpen gebrochen, von wo noch einige Tauenden herabhingen. Vom Giekbaume, der bei dem Zusammenstoße abgerissen wurde, war nichts mehr zu sehen.
Übrigens war es leicht, in das Deckhaus einzudringen. Dessen Tür war aufgesprengt und nur zuweilen wälzte sich ein mäßiger Wasserschwall hinein.
Jetzt galt es also, auf das Wrack zu gelangen, die Kabinen neben der gemeinschaftlichen Kajüte zu durchsuchen, und vorzüglich die der beiden Brüder.
Die Kabinen des Kapitäns und des Steuermannes, die weiter nach vorn zu lagen, erwiesen sich gänzlich zerstört.
Karl Kip steuerte das Boot so, daß es sich längs des Wracks anlegte; von dieser Stelle aus konnte man das Deck erklettern, nachdem Vin Mod ein Seil an einer Schanzkleidstütze des Steuerbords befestigt hatte.
Das augenblicklich ziemlich ruhige Meer überflutete die Hauptkabine nicht, sondern schwabbte nur auf dem Reste des Verdeckes hin und her. Zuweilen hob sich auch der – vollständig entleerte – Rumpfteil hoch aus dem Wasser.
Karl und Pieter Kip, Nat Gibson und Vin Mod überließen das Boot der Obhut der Matrosen und drangen in das Deckhaus ein.
Zunächst mußte hier nachgesehen werden, ob vielleicht noch ein Lebender von der »Wilhelmina« zu finden wäre. Es erschien ja nicht unmöglich, daß einzelne Leute von der Mannschaft in der Deckhütte Zuflucht gefunden hätten, als der andere Teil des Fahrzeugs unterging.
Vergeblich… hier traf man kein lebendes Wesen an. Jedenfalls wurde es auch niemals aufgeklärt, ob der Kapitän und der Obersteuermann ihre Kabinen noch hatten verlassen können, oder ob sich vielleicht gar der Vorderteil des Schiffes mit einem Teile der Mannschaft darauf hatte noch eine Zeitlang schwimmend
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