Die Geburt Europas im Mittelalter
überließ ihm seine Villa in Careggi, wo Ficino die Platonische Akademie ins Leben rief. Cosimo war auch der Wohltäter des Rhetoriklehrers Cristoforo Landino, dem das Verdienst zugeschrieben wird, die Humanisten für den Gebrauch der Volkssprachen an Stelle des klassischen Lateins gewonnen zu haben. Er ließ den Konvent der reformierten Dominikaner, San Marco, restaurieren, beauftragte Brunelleschi mit dem Bau der Kirche San Lorenzo und seinen Lieblingsarchitekten, Michelozzo, mit dem Familienpalast, ganz zu schweigen von den zahlreichen Villen der Umgebung, der Badia Fiesolana, Palästen in Mailand, dem Collegium der Italiener in Paris und einem Hospital in Jerusalem. Er vergab Aufträge an den genialen Bildhauer Donatello, der ein Grab in seiner Nähe erhielt, an Fra Giovanni aus Fiesole, genannt Fra Angelico, dem er die Fresken von San Marco anvertraute, sowie an verschiedene andere große Maler und Künstler seiner Zeit.
Florenz war der Schauplatz, an dem die großen Werke der neuen Kunst entstanden: erst die Portale des Baptisteriums, an denen zu Beginn des 15. Jahrhunderts die berühmtesten Bildhauer ihr Talent bewiesen, dann die revolutionären Fresken von Santa Maria del Carmine, bei denen Masaccio die neuen Vorstellungen der perspektivischen Gestaltung in genialer Weise umsetzte. Die spektakulärste Schöpfung schließlich war Brunelleschis Domkuppel. Hier ist nicht der Ort, die Kunstgeschichte des Quattrocento in Florenz zu schreiben. Ich wollte nur einige der berühmtesten Meister und Meisterwerke in Erinnerung rufen. Als eine der großen Neuerungen dieser Zeit zwischen Mittelalter und Renaissance füge ich die neuplatonischeBewegung um Marsilio Ficino hinzu, die nicht nur von den Medici begünstigt wurde, sondern auch vom anregenden Einfluss der griechischen Gelehrten, die sich nach der Einnahme Konstantinopels durch die Türken in das westliche Europa zurückgezogen hatten. In dieser Bewegung setzt sich eine intellektuelle Haltung fort, die für das Mittelalter charakteristisch ist: die antike Verkleidung neuer Gedanken. Diese große europäische Tradition, die der Karolingerzeit entsprungen ist und alle «Renaissancen» bis zum Ende des 18. Jahrhunderts begleitet, hat den französischen Dichter André Chénier zu den Worten inspiriert: «Auf neue Gedanken/lasset uns antike Verse dichten.»
Inmitten der von Ideen und Erfindungen überschäumenden Atmosphäre dieses unruhigen, von Übeln geplagten, aber leidenschaftlichen 15. Jahrhunderts möchte ich ein Licht auf zwei Persönlichkeiten werfen, denen die Geschichtsschreibung lange nicht die gebührende Bedeutung beigemessen hat.
Zwei aufgeschlossene Persönlichkeiten: Nikolaus von Kues …
Der erste ist ein Philosoph, Nikolaus von Kues (1401–1464) aus dem kleinen Dorf Kues an der Mosel, der in Heidelberg die
artes liberales
, in Padua das kanonische Recht und in Köln Theologie studiert hat. Seit 1432 nahm er am Basler Konzil teil und spielte als Gesandter und Kardinal bei mehreren Päpsten eine wichtige Rolle, zuerst bei Eugen IV., dann und vor allem bei seinem Freund Aeneas Silvius Piccolomini, der von 1458 bis 1464 als Pius II. Papst war. Aber im Vergleich zu seinen Ideen und Werken ist seine politische und administrative Tätigkeit zweitrangig. Nikolaus von Kues war in erster Linie ein großer Gelehrter der antiken ebenso wie der mittelalterlichen, theologischen und mystischen Literatur, von der sein Denken erfüllt war. Wie Jean-Michel Counot schreibt, war er der Ansicht, «die wahre Theologie beginne erst, wenn man den Aristotelismus überholt habe, dessen Logik vom ausgeschlossenen Widerspruch wohl für das Endliche taugen möge, aber vollkommen unzulänglich für die Erkenntnis Gottes sei». Nikolaus von Kues vertrat eine
docta ignorantia
– so der Titel einer seinerSchriften –, die des Menschen Unfähigkeit zur vollkommenen Erkenntnis Gottes und die gleichzeitige Notwendigkeit des Wissens betont. Die «belehrte Unwissenheit» erlaubte nicht nur eine intellektuelle Annäherung an Gott, sondern lief auf ein neues Weltbild hinaus. Nikolaus wies die Vorstellungen von Aristoteles und Ptolemäus über die unbewegte Erde im Mittelpunkt der Welt zurück. Ohne ein Vorläufer Kopernikus’ zu sein, schlug er ein unendliches Universum vor, «dessen Mittelpunkt überall und dessen Umfang nirgends» sei – wie es der späteren Definition von Pascal entspricht – und das er als die kosmologische Grundlage der Subjektivität verstand. Zugleich
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