Die Geburt Europas im Mittelalter
Fahrrinnen und Schleusen ergänzt wurde, war für die kommerzielle Revolution des 13. Jahrhunderts das, was das englische Kanalnetz für die Industrielle Revolution des 18. Jahrhunderts sein sollte. Der Hauptanteil der mittelalterlichen Transporte lief jedoch über den Seeweg, trotz der Angst, die das Meer den Menschen damals einflößte. Für sie war es das Reich der biblischen Ungeheuer und der Schiffbrüche – der hl. Paulus gab ein berühmtes Beispiel ab –, ein Symbol von Drangsal und Gefahr: In der Vorstellung wie in der Darstellung erschien das Kirchenschiff von stürmischen Wellen umflutet. Inmitten dieser Ängste wurde ein Europa der Seefahrt geboren. Die Fortschritte waren langsam, aber entscheidend. Das Fassungsvermögen der Schiffe wurde erhöht. In den italienischen, namentlich in den venezianischen Flotten erreichten sie tausend Tonnen. Im 13. Jahrhundert kamen das Heckruder und das Lateinersegel, der Kompass und die Kartographie hinzu. Aber die Seefahrt blieb ein langsames Geschäft. Ihr größter Vorteil bestand darin, dass die Beförderung der Waren unvergleichlich billiger war als über den Landweg.
Die Champagnemessen.
– Das große Ereignis, das am Ende des 12. und im Zuge des 13. Jahrhunderts die Fortschritte und den europäischen Charakter der Handelsrevolution anzeigte, war der Aufschwung der Champagnemessen. Diese Märkte in Lagny, Bar-sur-Aube, Provins und Troyes fanden das ganze Jahr über abwechselnd statt. Von Januar bis Februar dauerte die Messe in Lagny, von März bis April die in Bar-sur-Aube, von Mai bis Juni fand der Frühjahrsmarkt in Provins statt, dem von Juli bis August Troyes mit der Johannismesse folgte, dann, von September bis November, kam wieder Provins mit dem Markt zu St. Ayoul und schließlich, im November undDezember, noch einmal Troyes mit der Messe zu St. Remi. So unterhielt die westliche Welt in der Champagne praktisch einen permanenten Jahrmarkt. Die Kaufleute und Einwohner der Messestädte genossen wichtige Privilegien, und der Erfolg dieser Marktorganisation hängt eng mit der wachsenden Macht der Grafen der Champagne und ihrer liberalen Politik zusammen. Geleitbriefe, Steuerfreiheiten, Zollrechte, Zwangsrechte, die Einrichtung einer Marktaufsicht, um die Rechtmäßigkeit und Ehrlichkeit der Transaktionen zu kontrollieren, boten die Gewähr für ein gutes Gelingen der Geschäfte. Die Marktbeamten oder Messrichter, die diese öffentlichen Aufgaben erfüllten, waren meistens Kaufleute, später, seit 1284, dann Kronbeamte. Die sich verbreitende Gewohnheit, Schulden durch Verrechnung zu begleichen, hat den Champagnemessen den Ausspruch eingebracht, sie hätten «die Rolle eines embryonalen
Clearing house
» gespielt. An diesem Beispiel sieht man, dass sich die Handelsökonomie nur mit Hilfe und unter der Kontrolle der politischen Macht entwickeln konnte. Im 12. und 13. Jahrhundert wurden die Handelsaktivitäten auf der Grundlage von Verträgen und Zusammenschlüssen organisiert, aber die Verabredungen bezogen sich im Allgemeinen nur auf bestimmte Verträge und einen begrenzten Zeitraum. Erst am Ende des Jahrhunderts tauchten wirkliche Handelshäuser auf.
Monetäre Probleme
Der internationale Handel brauchte ein stabileres und weiter verbreitetes Zahlungsmittel als die vielen verschiedenen Münzsorten, die von Territorialherren geprägt wurden. Bis zum 12. Jahrhundert hatte die byzantinische Goldwährung diese Rolle gespielt, aber als der europäische Handel eine größere Dynamik entfaltete, war sie dazu nicht mehr in der Lage. Um diese Zeit nahm das Abendland die Goldprägung, die Karl der Große abgeschafft hatte, wieder auf. Während Frankreich seit 1266 den
Écu d
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or
prägen ließ, setzten sich die großen italienischen Handelsstädte an die Spitze der Bewegung. Ab 1252 gab Genua regelmäßig eigene Goldmünzen und Florenz den
Florin
heraus. Ab 1284 prägte auch Venedig seine Golddukaten.Aber trotz des hohen Ansehens und weithin üblichen Gebrauchs der Florin und Dukaten blieb die Münzvielfalt ein Engpass, durch den die mittelalterliche Ökonomie ins Stocken geriet. Das Feudalsystem zeichnete sich durch das Prinzip der Fragmentierung aus. Davon war auch die Geldzirkulation betroffen, und das Fehlen einer einheitlichen Währung, ja sogar international anerkannter Kurantgelder, beschränkte die Prosperität der Handelsgeschäfte im mittelalterlichen Europa.
Das Europa der Kaufleute
In dem Maße, in dem der fahrende Kaufmann allmählich sesshaft
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