Die Geburt Europas im Mittelalter
Besitz, verfügten weder über Ländereien noch über Renten. Sie lebten von Almosen, die Schenkungen sein konnten und ihnen schließlich – gegen die Anweisungen ihrer Gründer – erlaubten, immer größere Kirchen zu bauen, auch wenn diese im Schmuck eine gewisse Bescheidenheit bewahrten. Für die Bettelorden standen Christus und das Evangelium im Mittelpunkt der Frömmigkeit, nicht nur ihrer eigenen, sondern auch der des Laienstandes. Erfüllt von diesem Streben, trieb Franziskus von Assisi die Identifikation mit Jesus auf die Spitze: In der Einsamkeit der Berge Mittelitaliens erschien ihm auf dem Berg La Verna ein Seraph, durch den er die Stigmatisierungen Christi empfing, das heißt die Wundmale, die Jesus am Kreuz empfangen hatte. Die Bettelorden bedienten sich der intensiven Predigt, um die Bevölkerung, besonders die der Städte, in den neuen religiösen Praktiken zu unterweisen. Mit ihnen entstand ein Europa des
gesprochenen Worts
, der Predigt, das in laisierter Form ein Europa der Ansprachen, der Tribünen, der militanten Reden werden sollte.
Fasziniert vom göttlichen Werk der Schöpfung, besang Franziskus die gesamte Kreatur in Lobliedern, vor allem dem berühmten
Sonnengesang
, in dem manche den Ursprung der europäischen Naturverbundenheit vermuten. Die Bettelorden, die ihr Apostolat von Anfang an in den Dienst der Kirche gestellt hatten, wurden bald vom Papsttum von der ursprünglichen Seelsorge abgelenkt und für andere Missionen eingesetzt. Angesichts der sich ausbreitenden Ketzerei trieb die Kirche die Mendikanten, auch auf die Gefahr hin, ihre Berufungzu missbrauchen, über die Predigt hinaus zur Inquisition. Die Leitung der Inquisitionsgerichte wurde den Bischöfen entzogen und den Bettelorden anvertraut. So war der Ruf, den die Bettelbrüder in der europäischen Gesellschaft des 13. Jahrhunderts genossen, höchst umstritten. Einerseits wurden sie bewundert und verehrt; begeisterte Massen folgten ihnen nach. Im Jahr 1233 beispielsweise erfuhr eine Friedenskampagne zur Schlichtung der Konflikte zwischen den norditalienischen Städten, die so genannte
Halleluja-Bewegung
, für begrenzte Zeit unerhörten Zulauf. Andererseits wurden ihnen Angriffe und eine Feindseligkeit zuteil, die bis zum Hass gehen konnte. Ein beispielhafter Fall ist der des (heilig gesprochenen) Dominikaners Petrus Martyr, der in Oberitalien als gnadenloser Inquisitor tätig war und 1252 zwischen Como und Mailand auf offener Straße ermordet wurde. Dargestellt als Heiliger, dem ein Messer im Schädel steckt, verdeutlicht er die Kluft, die im Umfeld der Inquisition zwischen der Kirche und den Bettelorden auf der einen und der Mehrheit der Gläubigen auf der anderen Seite entstand.
Franziskaner und Dominikaner standen auch in Fragen der Lehre und des Wissens gemeinsam im Kreuzfeuer der Kritik der Weltgeistlichen, vor allem an der Universität Paris. Einige der weltgeistlichen Magister, besonders Wilhelm von St.-Amour, und Dichter wie Rutebeuf oder Jean de Meung richteten scharfe Angriffe gegen die Bettelorden. Dabei ging es in erster Linie um das Prinzip des Bettelns und der Armut selbst. Musste der Mensch – einschließlich der Mönche – nicht von seiner Hände Arbeit leben statt von Almosen, die es ihm erlauben, müßig zu sein? Wir werden noch sehen, dass diese Ansicht einem neuen Verständnis und einer Aufwertung der Arbeit in Europa entsprang. Waren die Bettelbrüder wirkliche Bettler? Musste man ihnen nicht die «wahren Armen» vorziehen, die aus Not zum Betteln verurteilt waren? Die Aneignung von Aufgaben, die dem Weltklerus oblagen, das Spenden der Sakramente, die Verwaltung von Kirchen, die zur Eintreibung des Pfarr-Zehnten genutzt wurde, schockierten viele Gläubige, brachten aber vor allem den größten Teil des Weltklerus gegen die Mendikanten auf. Statt den Konflikt zu entschärfen, wurde er dadurch geschürt, dass der Papst die Bischöfe seit der Mittedes 13. Jahrhunderts zunehmend aus den Reihen der Bettelmönche wählte und so die Grenze zwischen Ordens- und Weltgeistlichen verwischte.
An den Universitäten hatten die Bettelorden einen schweren Stand, wobei die Dominikaner seit der Ordensgründung großen Wert auf das Studium legten, während die Franziskaner erst die Widerstände des Franziskus gegen eine Aktivität überwinden mussten, die später den Kauf von Büchern einschloss. Probleme gab es besonders in Paris, wo die Mendikanten von Anfang an schlecht angesehen waren, weil sie die Haltung der
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