Die Geburt Europas im Mittelalter
weltgeistlichen Magister im großen Streik von 1229 bis 1231 ausgenutzt hatten, um in den Besitz von Lehrstühlen zu kommen. Sie waren als Streikbrecher, als «Gelbe», in die Welt der Universitäten eingedrungen. Im Lauf des 13. Jahrhunderts vergiftete der Konflikt zwischen Regularen und Säkularen wiederholt die Atmosphäre an der Pariser Universität. Das Papsttum intervenierte, aber im Allgemeinen zu Gunsten der Mendikanten. Diese Vermittlungsversuche waren daher eher Wasser auf die Mühlen des Streits, in dem Bonaventura und Thomas von Aquin eine herausragende Rolle als Verteidiger der freiwilligen Armut spielten, die sie für legitim und verdienstvoll erklärten. Das 13. Jahrhundert war also mit dem Auftreten der Bettelorden ein wichtiger Moment in der langen Geschichte der Armut in Europa, die heute bedauerlicherweise nicht zu Ende ist.
Andere, innere Zerwürfnisse haben den Franziskanerorden im Lauf des 13. Jahrhunderts erschüttert. Schon zu Lebzeiten des hl. Franziskus hatte es Gegensätze zwischen einer rigorosen, asketischen Tendenz und der Neigung zum Kompromiss mit den Notwendigkeiten des Lebens innerhalb der menschlichen Gesellschaft gegeben. Franziskus stand meistens auf der Seite der Rigoristen, lehnte aber stets den Ungehorsam gegenüber der Kirche und dem Heiligen Stuhl ab. Um seine Person, sein Gedächtnis entspann sich ein Konflikt, der nach seinem Tod im Jahr 1226 für Unruhe im Orden sorgte, während sich das Papsttum beeilte, ihn schon 1228 heilig zu sprechen. Der erste Stein des Anstoßes war der Bau der Basilika von Assisi durch seinen Nachfolger, den – obschon von Franziskus designiert – äußerst umstrittenen Bruder Elias: Die Dimensionen und die Pracht des neuen Gebäudes erschienen manchen alsein Hohn auf die Spiritualität des Heiligen. In der Folge zeigte sich der Konflikt hauptsächlich an biographischen Texten, die Franziskus gewidmet waren. So entstand, was einer seiner großen neuzeitlichen Biographen, der Protestant Paul Sabatier, am Ende des 19. Jahrhunderts die «Franziskanerfrage» genannt hat. Sabatier zufolge entzündete sich diese Frage hauptsächlich an einem Ereignis, das dem Problem am Ende des 13. Jahrhunderts ein Ende hätte setzen sollen: Im Jahr 1260 hatte das Generalkapitel des Ordens beschlossen, dem Generalminister Bonaventura die Abfassung einer offiziellen
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anzuvertrauen, die alle früher geschriebenen ersetzen sollte, und, ein unerhörter Vorgang, das Kapitel ordnete an, all diese alten
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zu zerstören. Fügt man diesem Beschluss die von dem Bischof von Paris, Étienne Tempier, ausgesprochenen Verurteilungen hinzu, muss man leider sagen, dass im 13. Jahrhundert nicht nur ein Europa der Inquisition, sondern auch ein Europa der Zensur geboren wurde.
Ein Europa der Barmherzigkeit
Die Bettelbrüder haben nicht nur durch die Predigt gewirkt und dem gesprochenen Wort einen Weg bereitet, sondern mit ihnen begann auch ein Europa der Wohltätigkeit und der Sozialversicherung. Im 13. Jahrhundert wurde das System unter dem Namen «Werke der Barmherzigkeit» eingeführt. Es gründete auf einem Text des Matthäus-Evangeliums (Mt 25,31–36), dem zufolge der Menschensohn beim Jüngsten Gericht die Völker scheiden und denen zu seiner Rechten das Reich Gottes vermachen wird, als Lohn für die Wohltaten, die sie den Menschen stellvertretend für ihn angedeihen ließen. Die mildtätigen Werke bestanden darin, Kranke zu besuchen, den Durstigen zu trinken zu geben, die Hungrigen zu speisen, Gefangene loszukaufen – im 13. Jahrhundert ging es vor allem um die Gefangenen muslimischer Piraten auf dem Mittelmeer –, die Nackten zu kleiden, Fremden Obdach zu gewähren und Seelenmessen für die Verstorbenen zu stiften. Die Bettelbrüder waren nicht nur die aktivsten Prediger, sondern übten sich ebenso fleißig in den Werken der Barmherzigkeit; zugleich gaben sie sich der Krankenpflege in den Hospitälernhin, deren Zahl im städtischen Milieu sich mehrte. In Zukunft breiteten sich Krankenhäuser in ganz Europa aus.
Die Dritten Orden: zwischen Klerikern und Laien
Das letzte Charakteristikum der Bettelorden ist eine Frucht ihres Interesses an der städtischen Laienbevölkerung: die Gründung der so genannten Dritten Orden. Diese Orden nahmen Laien unterschiedlicher Herkunft auf, tatsächlich aber meistens eher wohlhabende Bürger, die so weit wie möglich die Lebensführung der Brüder übernahmen, dabei jedoch in ihren Familien blieben und weiterhin ihren Beruf
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