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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Jach kehrt er zurück das bleiche
Antlitz: Weh, die Kindesleiche
folgt ihm nach, im Aug die Bitte:

    »… Gieb das Linnen, ohne Linnen
lassen mich nicht ein die Geister … «
Und der Bocher, halb von Sinnen,
reicht es endlich seinem Meister.

    Und schon naht der Geist mit Klagen …
»Sag, was sterben hundert binnen
Tagen? – Kind, du mußt es sagen,
früher darfst du nicht von hinnen. «

    So der Rabbi. – »Wehe, wehe«,
ruft der Geist, »aus unserm Stamme
haben zwei entehrt der Ehe
keusche, reine Altarflamme!

    Hier die Namen! – Sucht nicht fremde
Ursach, daß euch Tod beschieden … «
Und der Rabbi reicht das Hemde
jetzt dem Kinde: »Zieh in Frieden!«

    〈3〉
    Kaum, daß aus dem Nachtkelch maijung
stieg der Tag in rosgem Licht,
hielt der Rabbi schon Gericht, –
und der Unschuld ward Befreiung.

    Mit der Geißel des Gesetzes
brandmarkt er die Sünderstirn; –
langsam löste jedes Hirn
sich vom Bann des Fluchgenetzes.

    Manches Paar war da erschienen,
dankerfüllt, daß Gott verzieh,
und der Weise segnet sie. –
Freude lag auf aller Mienen.

    Nur der Bocher warf, der bleiche,
sich im Fieber hin und her …
Doch nach Beth Chaim lange mehr
trug man keine Kindesleiche.

    DIE ALTE UHR

    Bald hättest, alte Rathausuhr,
du nimmer dürfen Stunden weisen;
sie hätten bald in altem Eisen
versplittert deine letzte Spur.

    Der Geizhals hätt zum letzten Mal
sein Haupt gewiegt in starrem Trotzen,
zum letzten Mal der Tod mit Glotzen
geschwungen seinen Sensenstahl.

    Dann hätt der Hahn auch ausgekräht.
Und heut noch kräht er, freilich heiser;
noch nickt der Geizhals fort, und leiser
droht ihm des Todes Majestät.

    KÄMPFEN

    I
    Ein heißer Eid, ein gramerpreßter,
der leicht von jungen Lippen rinnt,
der machte zur barmherzgen Schwester
fast über Nacht ein blondes Kind.

    Des jungen Lebens Wellen fließen
fortan durch Krankenstuben still;
es träumt ihr Herz noch vom Genießen,
wenn auch das Aug es leugnen will.

    Denn mit der Strenge der Asketen
drängt sie zurück, was in ihr quillt,
und geht um Kraft nach Emaus beten
zum wunderstarken Gnadenbild.

    SIEGEN

    II
    Der Tag beginnt sich kaum zu lichten;
»Heut sei im Glauben stark wie nie
und geh mit Gott an deine Pflichten:
Es ist ein Fall von Diphtherie … . «

    Sie pflegt und küßt den kleinen Kranken,
und doch packt ihn der Tod beim Hals …
Spät rafft sie auf sich, heimzuwanken,
erfröstelnd in den Schutz des Schals.

    Als man vorbei beim Kloster gestern
den Kleinen trug ins Bett von Lehm,
klang aus der ›Kirche von den Schwestern‹
ganz leis ein Totenrequiem …

    IM HERBST

    Ein Riesenspinngewebe, zieht
Altweibersommer durch die Welt sich; –
und der Laurenziberg gefällt sich
im goldig-bräunlichen Habit.

    Weil er so mild herübersieht,
sucht müd, gestützt auf Strahlenkrücken,
die Sonne hinter seinem Rücken
schon frühe ihr Valladolid.

    DER KLEINE ›DRÁTENÍK ‹

    Kommt so ein Bursche, ein junger,
Mausfallen, Siebe am Rücken,
folgt mir durch Gassen und Brücken:
    »Herr, ich hab ›türkischen Hunger‹.

    Nur einen Krajcar, nur einen
für ein Stück Brot, milost’ pánku!«

    Da! – Und er stammelt mir Dank zu,
doch läßt nicht Ruh er den Beinen.

    Lebt nicht von bloßem Gelunger. –
Riecht an den Türen den Braten
fund muß die Pfannen doch drahten –
leer: – das macht ›türkischen Hunger‹.

    IN DER VORSTADT

    Die Alte oben mit dem heisern Husten,
ja, die ist tot. – Wer war sie? – Du mein Gott,
sie gab uns nichts, – ihr gab man Hohn und Spott …
Kaum, daß die Leute ihren Namen wußten.

    Und unten stand der schwarze Kastenwagen.
Die letzte Klasse; als der Totenschrein
sich spreizte, stieß man fluchend ihn hinein,
und dann ward rauh die Türe zugeschlagen.

    Der Kutscher hieb in seine magern Mähren
und fuhr im Trab so leicht zum Friedhof hin,
als wenn da nicht ein ganzes Leben drin
voll Weh und Glück – und tote Träume wären.

    BEI ST. HEINRICH

    Hart am Kirchenaltargitter,
wo die Ampel flammt, die matte,
schläft ein alter, alter Ritter
unter grauer Wappenplatte.

    Lebend hielt er hoch sein Wappen,
sorgte immer für sein Blinken; –
weiß er, daß mit schmutzgen Schlappen
alte Weiber drüber hinken?

    MITTELBÖHMISCHE LANDSCHAFT

    Fern dämmert wogender Wälder
beschatteter Saum.
Dann unterbricht
nur hie und da ein Baum
die falbe Fläche hoher Ährenfelder.
Im hellsten Licht
keimt die Kartoffel; dann
ein wenig weiter Gerste, bis der Tann
das Bild begrenzt.
Hoch überm Jungwald glänzt
so goldig-rot ein

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