Die Gedichte
arm.
〈DER BLINDE KNABE〉
An allen Türen blieb der blinde Knabe,
auf den der Mutter bleiche Schönheit schien,
und sang das Lied, das ihm sein Leid verliehn:
»Oh hab mich lieb, weil ich den Himmel habe. «
Und alle weinten über ihn.
An allen Türen blieb der blinde Knabe.
Die Mutter aber zog ihn leise mit;
weil sie die andern alle weinen schaute.
Er aber, der nicht wußte, wie sie litt,
und nur noch tiefer seinem Dunkel traute,
sang: »Alles Leben ist in meiner Laute. «
Die Mutter aber zog ihn leise mit.
So trug er seine Lieder durch das Land.
Und als ein Greis ihn fragte, was sie deuten,
da schwieg er, und auf seiner Stirne stand:
Es sind die Funken, die die Stürme streuten,
doch einmal werd ich breit sein wie ein Brand.
So trug er seine Lieder durch das Land.
Und allen Kindern kam ein Traurigsein.
Sie mußten immer an den Blinden denken
und wollten etwas seiner Armut weihn;
er nahm sie lächelnd an den Handgelenken
und sang: »Ich selbst bin kommen euch beschenken. «
Und allen Kindern kam ein Traurigsein.
Und alle Mädchen wurden blaß und bang.
Und waren wie die Mutter dieses Knaben,
der immer noch in ihren Nächten sang.
Und fürchteten: wir werden Kinder haben, –
und alle Mütter waren krank . .
Da wurden ihre Wünsche wie ein Wort
und flatterten wie Schwalben um die Eine,
die mit dem Blinden zog von Ort zu Ort:
»Maria, du Reine,
sieh, wie ich weine.
Und es ist seine
Schuld. In die Haine
führ ihn fort!«
Bei allen Bäumen blieb der blinde Knabe,
auf den der Mutter müde Schönheit schien,
und sang das Lied, das ihm sein Leid verliehn:
»Oh hab mich lieb, weil ich den Himmel habe – «
Und alle blühten über ihm.
〈DIE NONNE〉
Die blonde Schwester trat in ihre Zelle
und schmiegte sich an sie: »Um meine Ruh
ist es geschehn. Ich wurde wie die Welle
und muß den fremden Meeren zu.
Und du bist klar. Du Heilige, du Helle,
mach mich wie du.
Gieb mir den Frieden, den du heimlich hast
und ohne Angst, so wie ihn keine hat, –
gieb mir die Rast;
daß ich ein Fels bin, wenn die Flut mich faßt,
und nicht ein Blatt. «
Und leise neigte sich die Nonnenhafte –
nicht tief;
nur wie die Blüte horcht vom hohen Schafte,
wenn Wind sie rief.
Sie hatte längst die Gesten den Geländen
entlernt – die leise gebenden –
und fügte einen Kranz aus ihren Händen
und schenkte lächelnd ihn der Bebenden.
Und nach dem Schweigen waren sie sich nah;
so daß sie sich nicht dunkel fragen mußten
und sich nur klar das Letzte sagen mußten,
und das geschah:
»Sprich mir von Christo, dessen Braut du bist,
der dich erkor.
Und seiner Liebe, deren Laut du bist,
tu auf mein Ohr.
Laß mit mich wohnen
in seiner Trauer, deren Trost du bist!
Du Leiserlöste, wie erlost du bist
aus Millionen. «
Da küßte kühler sie die Priesterin
und sprach:
»Ich bin ja selbst an Gottes Anbeginn,
und dunkel ist mir meiner Sehnsucht Sinn –
Weit ist der Weg, und keiner weiß wohin,
doch sag ich dir, weil ich die Schwester bin:
Komm nach.
Mit einemmale wird dir Alles weit,
du langst dir nach.
Nur eine Weile geht noch aus der Zeit
die Angst dir nach.
Doch wenn du glaubst, so kann sie weit nicht mit
und sie wird lahm
und bleibt zuletzt.
Und wie es kam?
Das, was ich einmal litt,
lobpreis’ ich jetzt.
Und Nächte giebt es, da die blasse Scham
entflieht,
da schenkt sich Jesus wie ein Lied
mir hin,
und meine Seele sieht,
daß ich ein Wunder bin,
das ihm geschieht. «
Die Schwestern waren Brust an Brust gepreßt
und beide jung im Glühn des gleichen Scheines:
»Dann bin ich mit dem großen Leben Eines
und fühle tief: das ist das Hochzeitsfest,
und alle Krüge wurden Krüge Weines. «
Da neigten die Mädchen sich Leib an Leib:
es war, als ob derselbe Sturm sie streifte
und sie umwob
und dann die Blonde hob
in einen Sommer hoch, darin sie reifte
– zum Weib.
Denn sie küßte die Schwester mit fremdem Kuß
und lächelte fremd: »Vergieb, – ich muß. –
Weißt du noch von dem blonden Gespielen?
Und wir warfen nach weißen Zielen
schlanke Speere im alten Park:
Der ist jetzt stark. «
Und da hielt die Nonne die Schwester nicht –
sah der Schwester nicht ins Gesicht,
ließ sie ganz langsam los,
wurde groß …
Die Blonde erschrak; denn kein Segen kam,
und bange bat sie: »So bist du mir gram?«
Die Heilige träumte: Ich hab dich lieb.
Und hielt der Schwester die Hände her,
leer, –
als flehte sie: gieb.
AUS DEM BUCHE:
DIR ZUR FEIER
(1897/1898)
〈 Geschrieben für Lou Andreas-Salomé 〉
Ich möchte dir
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