Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
Vom Netzwerk:
greisen Vaters feiger Frohne
zu eignem Wort und eignem Weh sich wand.
Er lief zuletzt. Und wie gerettet stand
er endlich still auf einsamem Balkone
und lauschte, was in langem, leisem Tone
die matte Woge sang dem Abendland.

    Da knistert neben ihm ein Schleppgewand:
und bei ihm kniet in hoher Mützenkrone
mit weißem Bart ein purpurner Padrone,
und leise faltet sich die Hand zur Hand.
Und Jesus nickt und fragt den alten Mann:
»Schwarz ist der Hafen. Wo sind eure Feste?
Giebts keine Gäste mehr? An die Paläste
legt niemals mehr der bunte Jubel an?
Ich warte schon so lange, wo sind sie
die mich verehrt, die wundersamen Alten
mit Silberbärten, lang und tiefgespalten –
die Vendramin und Papadopoli.
Ich weiß: die Nacht bewohnt in euren kalten
Palästen jetzt das beste Prunkgemach.
Denn ihr seid lang gestorben, und den Jungen
ist Lied und Lachen gar so bald verklungen
in einer Zeit, die nur mit Eisen sprach.
Jetzt sind die Gassen alle kalt und brach,
und Trauer nur, in halbem Traum gesungen,
langt oft den flüchtenden Erinnerungen
aus einem engen grauen Hause nach.
Von keinem Landen wissen eure Stufen,
und alles kam, wie es die Vorsicht will.
Der Hochmut hohe Häuser starben still,
und nur die Kirchen dauern noch und rufen. «

    »Ja, Herr«, spricht jetzt der Doge und entfaltet
die Hände nicht. »Des Todes Ohnmacht waltet
mit tausend tiefen Schauern über uns.
Und deine Glocken locken lauten Munds.
Du giebst noch immer große, reiche Feste
und machst, daß deine gernbereiten Gäste
in deinen Hallen Elend und Gebreste
vergessen und wie Kinder selig sind.
Und jedes Volk, das gerne noch als Kind
sich fühlen mag, folgt in die Prachtpaläste
die du ihm aufgetan und betet blind.
Doch ich bin alt. Ich seh die Zeiten rollen
bis in den Tag, da keine Völker mehr
wie Kinder sein und Kinder spielen wollen;
denn mögen alle deine Glocken grollen,
dann bleibt auch dein Palast für ewig leer. «
Der Alte schwieg. Wie betend blieb er knien.
Sternknospen sprangen an den Himmelsachsen.

    Und dieses Knien schien weit hinauszuwachsen
vorbei an Christo und weit über ihn …

    〈JUDENFRIEDHOF〉

    Ein Maienabend. – Und der Himmel flittert
vor lauter Lichte. Seine Marken glühn.
Die grauen Gräbersteine, moosverwittert,
deckt jetzt der Frühling mit dem besten Blühn;
so legt die Waise – und ihr Händchen zittert –
auf Mutters totes Antlitz junges Grün.
Hier dringt kein Laut her von der Straße Mühn,
fernab verlieren sich die Tramwaygleise,
und auf den weißen Wegen wandelt leise
ins rote Sterben träumerisch der Tag.
Der alte Judenfriedhof ists in Prag.
Und Dämmer sinkt ins winklige Gehöf,
drin Spiro schläft, der Held im Schlachtenschlagen,
und mancher weise Mann, von dem sie sagen,
daß zu der Sonne ihn sein Flug getragen,
voran der greise hohe Rabbi Löw,
um den noch heut verwaiste Jünger klagen. –

    Jetzt wird ein Licht wach in des Torwarts Bude,
aus deren schlichtem Eisenschlote raucht
ein karges Mahl. – Bei Liwas Grabe taucht
jetzt langsam Jesus auf. Der arme Jude,
nicht der Erlöser, lächelnd und erlaucht.
Sein Aug ist voll von tausend Schmerzensnächten,
und seine schmale blasse Lippe haucht:
»Jehovah – weh, wie hast du mich mißbraucht,
hier wo der treuste ruht von deinen Knechten,
hier will ich, greiser Gott, jetzt mit dir rechten! –
Denn um mit dir zu kämpfen kam ich her.
Wer hat dir Alles denn gegeben, wer? –
Der Alten Lehre hatte mancher Speer
aus Feindeshand ein blutend Mal geschlagen, –
da brachte ich mein Glauben und mein Wagen,
da ließ ich neu dein stolzes Gottbild ragen
und gab ihm neue Züge, rein und hehr.

    Und in der Menschen irres Wahngewimmel
warf deinen Namen ich – das große » Er «.
Und dann von tausend Erdensorgen schwer
stieg meine Seele in den hohen Himmel,
und meine Seele fror; denn er war leer .
So warst du niemals – oder warst nicht mehr,
als ich Unsel’ger auf die Erde kam.
Was kümmerte mich auch der Menschheit Gram,
wenn du, der Gott, die Menschen nicht mehr scharst
um deinen Thron. – Wenn gläubiges Gefleh
nur Irrsinn ist, du nie dich offenbarst,
weil du nicht bist. – Einst wähnt’ ich, ich gesteh,
ich sei 〈die〉 Stimme deiner Weltidee … …
Mein Alles war mir, Vater, deine Näh …
Du Grausamer, und wenn du niemals warst,
so hätte meine Liebe und mein Weh
dich schaffen müssen bei Gethsemane. «
… … … … … … … … … … … … … .

    Im Wärterhäuschen ist das Licht verlöscht.
Und in dem Bett von Gräbern breit umböscht
fließt

Weitere Kostenlose Bücher