Die gefährliche Zeugin verschwindet
dem
andern. Oder sie sind wesensverwandt — wie in unserem Fall, wo sich aus dem
Bankraub ein Kidnapping entwickelt. Der Allroundkönner, der vom
Taschendiebstahl bis zum Auftragsmord, vom Falschparken bis zum
Menschenschmuggel alles beherrscht — ist eher selten. Auch in der
Abschaum-Szene.“
„Hast mich überzeugt“, nickte
Karl. „Und was folgerst du daraus?“
„Kalensky hat es mit
Bankräubern zu tun, nicht mit Spionen. Die Pistoleros wollen ihn um die Ecke
bringen. Weshalb? Weil er weiß, wer sie sind. Vielleicht war er ihr Komplize
und ist ausgestiegen. Vielleicht erpresst er sie.“
„Wahnsinn!“, rief Gaby. „Das
hieße ja, Kalensky ist unsere Schlüsselfigur. Wenn er auspackt, sind wir am
Ziel aller Wünsche. Die Pistoleros wären geliefert. Wir könnten Irma befreien.
Und der blöde Personenschutz für mich würde unter den Tisch fallen.“
„So ist es!“, nickte Tim.
„Dann müssen wir den Kerl“,
meinte Klößchen, „unbedingt dazu bringen, dass er den Mund aufmacht. Jedes
Mittel sollte uns recht sein. Von Hinterlist bis Folter.“
„Folter auf keinen Fall.“ Tim
grinste. „Erstens ist das nicht unser Stil, zweitens kriegten wir Amnesty
International (Organisation zum Schutz der Menschenrechte) auf den Hals.
Und von deren Bemühen halte ich viel. Ohne die wäre die Welt bedeutend ärmer.
Aber vornehmen werden wir uns den Victor Kalensky. Zeit haben wir ja. Denn die
Pistoleros machen auch nicht in Hektik, sondern...“
Er hielt inne.
„...wollen sich erst in einigen
Tagen wieder melden“, ergänzte Klößchen.
„Ja!“, sagte Tim. „O Mann! Das
ist es. Meine Flash-Idee! Wusste ich doch, dass da eine Überlegung im
Hinterkopf rumkränkelt. Aber ich stand auf dem Schlauch.“
„Was ist mit deinem
Hinterkopf?“, fragte Gaby. Unwillkürlich beugte sie sich zurück und betrachtete
ihren Freund kurz von hinten. „Ist das dein Speicher für Unausgegorenes?“
„Exakt, Pfote. Aber jetzt
schnalle ich, was läuft. Die Zeit ist es. Die Pistoleros lassen sich zu viel
Zeit. Angeblich, um ihre Bedingungen auszubrüten. Aber das kann’s nicht sein.
Welche Möglichkeiten haben die denn schon — mit ‘ner Kommissarin als Geisel am
Bein? Das ist von jetzt auf nachher in Worte gefasst: Straffreiheit gegen das
Leben der Geisel. Oder: Freies Geleit bis an die Grenzen Europas, meinetwegen
des Abendlandes. Mehr gibt’s da nicht zum Verhandeln.“
„Du meinst also“, forschte
Karl, „die haben noch was anderes vor. Dafür schinden sie Zeit, was die Polizei
aber nicht merken soll.“
„Genau das meine ich.“
„Wofür brauchen sie Zeit?“,
überlegte Gaby. „Es kann nur etwas sein, das ihre Lage verbessert. Was
verbessert ihre Lage? Rasche Flucht an ein unbekanntes Ziel. Mein Papi und
seine Kollegen warten darauf, dass sie sich melden. Stattdessen sitzen sie
schon in Argentinien und lernen Tango.“
„Zum Beispiel“, nickte Tim.
„Bestimmt sogar. Aber wenn eine Fernreise unter erschwerten Bedingungen
gemütlich werden soll, braucht man viel Service. Und der kostet Geld, Geld,
Geld. Die Pistoleros haben zwar an die 20 Überfälle gemacht. Doch der große
Hauptgewinn war nie dabei. Ich glaube, sie sind knapp. Sonst würden sie nicht
ständig erneutes Risiko eingehen.“
„Also werden sie sich während
der nächsten zwei, drei Tage um Geldbeschaffung bemühen“, sagte Karl. „Geld für
die Reisekasse. Noch ein Banküberfall?“
Tim hob die Schultern. „Die
Banken knausern. Ihre Sicherheitssysteme greifen. Nein, um sich endgültig
abzusetzen, brauchen die Pistoleros großes Geld.“
„Vielleicht knacken sie ein
Geldtransport-Auto“, meinte Klößchen. „Die kutschieren doch die Millionen
herum. Aber das sind rollende Festungen. Ohne eine Panzerfaust geht da nicht
viel. Ob sie die haben?“
Gaby blieb stehen. Mit beiden
Händen griff sie sich in die goldblonde Mähne.
„Anna! Lösegeld! Vielleicht
haben sie das vor.“
„Wer ist Anna?“, fragte Tim.
„Anna Bolgakow-Feuchtweg. Irmas
Schwester.“
„Sie hat eine Schwester? Davon
wusste ich gar nichts. Logo, du hast da anderen Durchblick. Irma führt sich ja
ohnehin auf wie deine Patentante.“
„Eine ältere Freundin ist
absolut toll“, fetzte Gaby zurück. „Damit meine ich nicht, dass du das
anstreben sollst. Jedenfalls hat mir Irma von Anna erzählt. Die war sozusagen
das schwarze Schaf in der Familie. Allerdings leben die Eltern nicht mehr. Anna
sei sich treu geblieben, sagt Irma. Die beiden verstehen
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