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Die gefährliche Zeugin verschwindet

Die gefährliche Zeugin verschwindet

Titel: Die gefährliche Zeugin verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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hörte — hatte in der
Abteilung Kundenbetreuung der Sirius-Werke gearbeitet, bevor sie ihr wahres
Talent entdeckte: Ihren heißen Draht zu den Gestirnen — zu den Sternen, die
nach ihrer Überzeugung das Schicksal der Menschen bestimmen. Nach jahrelanger
einschlägiger Lektüre, einem Fernkurs und einem Abendkurs erwarb Otti ein
fragwürdiges Diplom ( Befähigungs-Urkunde ) als Astrologin. Das heißt, sie
erstellte Horoskope (Voraussagen nach dem Stand der Gestirne).
    Ihre Kunden waren verrückt
darauf, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Otti erfüllte ihnen diesen Wunsch
mit mehr oder weniger genauen Angaben. Ihre Trefferquote lag bei 50 Prozent.
Das entspricht der Lebenspraxis. Jedes Vorhaben kann entweder gelingen oder
schief gehen. Jeder ,nächste Tag’ kann entweder gut für jemanden werden oder
schlecht. Fifty-fifty — gilt immer. Dafür braucht man keine Voraussage. Dennoch
stand Otti bei ihren Kunden in dem Ruf, als hellsichtige Wahrsagerin erste
Sahne zu sein. Ihre Kunden kamen aus allen gesellschaftlichen Schichten.
Politiker, Manager, Eintagsfliegen aus dem Showgeschäft und Dauerbrenner waren
darunter. Angeblich auch der eine und die andere von höherer Intelligenz. Ihnen
allen errechnete Otti die nähere und fernere Zukunft — und kassierte dafür
saftiges Honorar.
    Neben dem Eingang ihrer
Doppelhaushälfte war ein Schild angebracht. KASSANDRA-INSTITUT — WEGWEISENDE
ZUKUNFTSERGRÜNDUNG
    Dass sich Otti des Namens der
altgriechischen Seherin Kassandra bediente, lässt auf eine Bildungslücke
schließen. Die alte Kassandra soll zwar als Zukunfts-Verräterin allerhand drauf
gehabt haben, war aber — bekanntlich — immer total depresso gestimmt und hat
nur uncoole Warnungen vor Frust und Katastrophen abgelassen. So verfuhr Otti
nicht. Im Gegenteil. Grundsätzlich verhieß sie ihren Kunden Glück in der Liebe,
Erfolg im Beruf und Reichtum sowieso.
    Sie war 37, blond, schlank und
ungewöhnlich muskulös. Das Haar trug sie kurz, ihre Röcke auch. Ohren und Zunge
waren reichlich gepierct, ebenso der linke Nasenflügel. Sie hatte ein Tattoo
auf dem Rücken, das man auf den ersten Blick für eine Straßenkarte halten
konnte. Tatsächlich war es eine maßstabgerechte Abbildung der Himmelskörper zum
Zeitpunkt von Ottis Geburt. Diese Anordnung der Gestirne hatte sie errechnet
und aufgezeichnet. Der Tätowierer hatte sich an die Vorlage gehalten.
    Otti und Victor Kalensky hatten
sich bei den Sirius-Werken kennen gelernt. Das war vor vier Jahren gewesen.
Seitdem bestand die Liebesbeziehung. Die beiden wohnten so dicht beieinander
wie es nur möglich ist, ohne unter einem gemeinsamen Dach zu sein. Jeder
behauste eine Doppelhaushälfte. Otti die Nummer 24, Kalensky die Nummer 24a.
Eine ungewöhnliche Lösung, doch beide wollte es so. Jeder brauchte seinen
Freiraum. Zu viel Nähe machte sowohl ihn wie auch sie nervös.
    Jetzt, kaum entlassen aus dem
Krankenhaus, saß Kalensky bei seiner Otti im Wohnraum.
    Aus stahlgrauen Augen funkelte
sie ihn an.
    „Victor! Habe ich dich richtig
verstanden? Du versuchst, zwei Bankräuber zu erpressen, die berüchtigten
Pistoleros.“
    Kalensky, der sich immer noch
matschig fühlte, schloss genervt die Augen.
    „Ich sehe darin weniger eine Erpressung
als vielmehr eine Beteiligung an der Beute. Zumal ich doch die Möglichkeit
habe. Ein Zufall hat mir dieses Geschenk gemacht.“
    „Was? Wovon redest du?“
    „Ich rede davon, wie ich den
beiden auf die Schliche gekommen bin.“
    Otti setzte sich in einen der
zierlichen Sessel und glättete ihren Minirock. „Ach ja. Und wie?“
    „Am Dienstag voriger Woche
war’s — in einer Seitenstraße bei der Globalus-Bank. Ich saß noch im Wagen, als
die beiden maskierten Typen heran stürmten. Hinein ins Fluchtfahrzeug und ab
die Post! Ich hinterher. Wahrscheinlich war ich ein geschickter Verfolger.
Jedenfalls haben sie mich nicht bemerkt. Sicherlich haben sie nur auf
Polizeifahrzeuge geachtet. Ich sah dann, wie sie in einen dunkelblauen VW
umstiegen. Und ich sah ihre Gesichter, denn inzwischen hatten sie natürlich die
Masken abgenommen.“
    „Natürlich.“
    „Jetzt hatte ich ihre
Kfz-Nummer. Aber weil ich nicht sicher war, ob ihnen der Wagen gehört, habe ich
sie weiter verfolgt.“
    „Sehr tüchtig“, meinte sie
spöttisch.
    „Bis zu ihrer Bude. Sie wohnen
zusammen — im Stadtteil Gerberhausen.“
    „Nicht sehr vornehm.“
    „Du sagst es. Sie haben ein
Fertighaus gemietet — aus der Zeit, als man das Fertighaus gerade

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