Die gefährliche Zeugin verschwindet
sich großartig. Aber
Anna ist eine Schickimicki-Pflanze. Einmal geschieden, einmal verwitwet — und
beide Male viel Geld abgeschöpft.“
„Abgeschöpft?“, grinste
Klößchen. „Als Mann komme ich mir da vor wie Fleischbrühe oder vollfette
Milch.“
„Man spricht von
Gewinn-Abschöpfung“, konterte Gaby. „Außerdem bist du noch lange kein Mann.“
„Gaby!“ Tim war wie
elektrisiert. „Du hältst es also für möglich, dass die Pistoleros von dieser
Anna wissen — und bei ihr Lösegeld anfordern für Irmas Freilassung? Der Gedanke
ist preisverdächtig. Irma wird den Typen zwar nicht auf die Nase binden, dass da
eine Geldquelle im Verborgenen murmelt. Aber sie haben ja das private
Telefonbuch. Vielleicht geht aus dem was hervor. Jedenfalls müssen wir bei
Schwester Anna vorstellig werden. Denn die kriegt garantiert Order — falls da
was läuft — , die Polizei außen vor zu lassen.“
„Damit hätten wir noch eine
Möglichkeit“, überlegte Karl, „um an die Pistoleros heranzukommen. Puh! Viel
Action. Was machen wir zuerst?“
Tim deutete nach vorn. Immerhin
hatten sie sich dem Gott-hilf-mir-Krankenhaus schon beträchtlich genähert.
„Kalensky liegt am nächsten,
wahrscheinlich im wörtlichen Sinne — es sei denn, er darf schon wieder aufrecht
sitzen mit seiner K.O.-Birne.“
Tim irrte sich. Vom Pförtner
des Krankenhauses erfuhren sie, Victor Kalensky sei vorhin entlassen worden —
nach Hause. Der Pförtner zierte sich ein bisschen, als er nach der Adresse
gefragt wurde. Aber Tim enterte eine der Krankenhaus-Telefonkabinen und
blätterte im Teilnehmerverzeichnis.
„Es gibt offenbar nur einen
Victor Kalensky“, erklärte der TKKG-Häuptling, zurück an der Pförtnerloge. „Der
wohnt in Nummer 24 a der Olaf-Dreifrucht-Straße. Ist das der Ex-Patient, Herr
Zerberus (grimmiger Wächter )? Können Sie sich dazu ein Nicken oder
Kopfschütteln abringen?“
Der Pförtner — ein dicker
Mensch im weißen Kittel — grinste. „Ja, das ist er. Ist nun mal Vorschrift,
dass ich die Adressen nicht rausgeben darf. Zumal — der Mann wurde von der
Polizei hergebracht. Auf ihn wurde geschossen.“
„Nicht geschossen“, sagte Gaby.
„Jemand wollte ihn mit dem Messer angreifen. Aber dazu ist es nicht gekommen,
weil eine Tür dazwischen war. Genaueres steht morgen in der Zeitung. Schönen
Tag noch! Auf Wiedersehen!“
Wieder im Freien stellte Tim
fest, dass Klößchen fehlte.
„Ich sah, wie er zu dem
Krankenhaus-Kiosk gewetzt ist“, erklärte Karl. „Dort gibt es vermutlich alles,
was man zu einem Krankenbesuch benötigt: Blumen, Zeitschriften und vor allem
Schokolade.“
Klößchen trabte an, beide
Jeans-Hosentaschen dick ausgebeult. Er grinste zufrieden.
„Wie ich uns kenne — wird’s
nichts mit dem Abendessen. Da habe ich meinen Proviant ergänzt. Schließlich
muss der Mensch essen.“
„Hast du Bananen gekauft“,
fragte Gaby scheinheilig, „Müsli-Riegel oder Trockenobst?“
„Bin ich abartig? Von dem Zeug
kriege ich den Blattlaus-Wahnsinn. Schokolade ist ‘ne sichere Bank. Schoko
stand noch nie auf der Liste lebensbedrohlicher Nahrungsmittel. Vieles andere
schon. Fleisch, Fisch, Eier, Nudeln, Öle, Geflügel, Pilze und so weiter. Ich
weiß, was ich esse.“
„Kennt jemand die
Olaf-Dreifrucht-Straße?“, erkundigte sich Tim.
„An der sind wir
vorbeigekommen“, erwiderte Karl. „Vorher kannte ich sie nicht. Aber das Schild
mit dem komischen Namen ist mir aufgefallen. Olaf Dreifrucht muss ein
bedeutender Mann gewesen sein, sonst hätte man die verkehrsberuhigte Zone dort
hinten nicht nach ihm benannt. Scheint ‘ne Spielstraße zu sein für
Kids-Anwärter. Helles Verbundsteinpflaster. Sieht besser aus als die Teerdecke
auf der Samariter-Allee.“
Während sie den Weg zurück
sohlten, überlegte Tim. Kalensky wurde offenbar nicht als besonders gefährdet
eingestuft — oder hatte er Polizeischutz? Überhaupt: Machte es Sinn, mit ihm zu
reden? Wenn er bei der polizeilichen Vernehmung den Ahnungslosen spielt, dachte
Tim, wird er uns noch weniger sagen. Falls tatsächlich eine Verbindung besteht
zwischen ihm und den Pistoleros, muss er das leugnen. Sonst belastet er sich
selbst. Aber er muss auch Vorkehrungen treffen, weil sich der Anschlag
wiederholen könnte.
Tim teilte seinen Freunden mit,
was er dachte. Dann bogen sie in die Olaf-Dreifrucht-Straße ein.
11. Otti von
nebenan
Laura-Ottilie Schrattröder —
von Bekannten Otti genannt, was sie freilich nicht gern
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