Die gefährliche Zeugin verschwindet
diese Gegend —
wegen der Nähe zum Gniprasch-Acker.
Becker hatte alles mitgebracht:
Einbruchswerkzeug und was er sonst noch benötigte für die tödliche Falle. Er
wählte die Hintertür. Sie wurde aufgebrochen mit brachialer Gewalt, was für den
klein gewachsenen Baulöwen kein Problem war. Kraft hatte er.
Im Wohnraum befand sich der
Gewehrschrank, ein stabiles Gehäuse. Zwei der vier Langwaffen gehörten Becker,
der Drilling und der Stutzen waren Eigentum von Lothar Henrich.
Becker trug Handschuhe. Keine
Fingerabdrücke hinterlassen. Mit einem Sperrhaken öffnete er den Schrank.
Während der nächsten halben Stunde hatte er mit der Todesfälle zu tun.
Kunstharz — den hatte er mitgebracht. Damit goss er die Läufe der Gewehre aus —
auch seiner eigenen. Endlich fertig, stellte er die Waffen zurück und
verschloss den Schrank. Der Schreibtisch wurde aufgebrochen. Der enthielt zwar
kein Geld, doch wonach sonst sollte der unbekannte Einbrecher suchen. Um das
Bild abzurunden, plünderte Becker die Speisekammer und nahm ein paar Konserven
mit. Später würde er sie einer Mülltonne übergeben.
Abfahrt. Nach 42 Minuten
erreichte er die Stadtgrenze und stoppte vor einer Telefonzelle. Es war immer
noch sehr früh. Nachher, dachte er, habe ich Ringe unter den Augen.
Schlafmangel. Egal! Anna ist mein Alibi. Sie pennt und denkt, ich liege im
Doppelbett neben ihr.
Anna hatte — wie von Tim
vermutet — bei ihrem Lover übernachtet und mit dem letzten Cocktail, den ihr
Becker zur Entspannung servierte, auch eine gehörige Portion Beruhigungsmittel
zu sich genommen — unwissentlich. Deshalb schlief Anna nicht nur. Seit
Mitternacht schnarchte sie wie betäubt. Und Becker konnte sich noch vor dem
Morgengrauen wegstehlen, ohne dass sie was merkte.
Jetzt rief er Karin Plötze an,
Henrichs Sekretärin. Natürlich hatte sie heute frei — und schlief noch. Aber
sie würde abheben. Ihr Wochenende bestand aus Einsamkeit. An den Werktagen ging
das graue Mäuschen auf in seinem Job.
Viermal läutete das Telefon,
fünfmal, dann...
„Ja? Karin Plötze.“
Ihre Stimme klang wie
ungeputzte Zähne nach 50 Pralinen.
„Hä!“, dröhnte er mit seiner meisterlich
verstellten Stimme. „Wir kennen uns ja schon. Diesmal rufe ich dich privat an.
Kannst es dann am Montag deinen Chefs sagen — falls es dazu noch kommt.“
Schweigen. Sie erkannte den
Psycho, den Irren, der schon oft angerufen und gedroht hatte. Becker spürte
ihren zitternden Atem.
„Sag den beiden, dass ich sie
fertig mache“, zischte er. „Bald schon. Sehr bald. Sie haben den Tod verdient,
den ich ihnen bereiten werde.“
Er legte auf. In Gedanken sah
er ihr magermilchblasses Gesicht. Sie würde die Polizei verständigen — und
natürlich auch Henrich. Nur in dem sah sie ihren Chef. Nur für den war sie
zuständig. Erreichen freilich würde sie ihn lediglich übers Handy. Denn
wahrscheinlich war der stiernackige Blödmann bereits unterwegs.
Becker fuhr rasch nach Hause,
parkte vor seiner Garage und eilte ins Schlafzimmer. Die Vorhänge waren
geschlossen. Anna schlief noch. Aber sie atmete ruhig und ihr Parfüm duftete
nur noch schwach.
„Morgen, Liebling!“ Er küsste
sie auf die Stirn.
Anna brauchte einen Moment, bis
sie aus dem Betäubungsschlaf in die Wachheit fand.
„Bist... bist du... Phhh! Ich
habe den Mund voller Watte. Bist du schon auf?“
„Ausgeschlafen und angezogen,
Liebling. Halali! Wohl auf zum fröhlichen Jagen! Ich muss los. Lothar ist
sicherlich schon draußen bei der Hütte.“
Das Jagdhaus Hütte zu nennen,
war Teil seiner Großspurigkeit.
„Ja“, meinte Anna schwach.
„Mir... ist übel.“
„Schlaf noch ‘ne Runde. Kommst
du nachher nach?“
„Nein. Du weißt doch: Tote
Tiere erbarmen mich.“
„Aber, Liebling!“, dröhnte er und
fiel aus Versehen in seine Anrufer-Psycho-Stimme. „Der Mensch muss doch auch
essen. Immer nur Nudeln mit Backobst — das macht auf die Dauer keinen Spaß.
Davon wird man nicht stark.“ Er sagte nie: groß und stark. Wie es Kindern, die
ihren Teller nicht leer schaufeln, vorgehalten wird. Er sagte immer nur: stark.
Das andere erinnerte ihn zu sehr an das, was ihm fehlte.
„Wann kommst du zurück?“ Sie
drehte sich auf die andere Seite und wandte ihm den Rücken zu.
„Wunradodisakometuka“, war die
genuschelte Auskunft. Denn Anna schlief bereits wieder.
Nichts wie los. Im Wagen
benutzte er sein Handy und wählte Lothar Henrichs mobilen Anschluss. Der
Geschäftspartner meldete
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