Die Gefährtin des Medicus
Alle waren es: Emy, der bisher kaum gewagt hatte, den Kopf zu heben. Aurel, der sich eben noch hinter einer Maske aus Trotz und Stolz verschanzt hatte. Gaufridus, der ob seiner Fassungslosigkeit regelrecht dümmlich wirkte.
Einzig Ludovicus mochte sich nicht damit abfinden, dass Gasbert sein Urteil bereits gefällt hatte.
»Aber …«, begann er.
»Haltet Ihr das für den rechten Ort, solch gewichtige Anschuldigungen zu klären?«, fuhr Gasbert de Laval ihn an. »Bettler balgen sich in der Gosse um ein Stück schimmliges Brot, nicht ehrenwerte Männer um Wahrheit und Gerechtigkeit.«
»Aber …«
»Ich will nichts mehr hören. Aurel Autard besitzt das Vertrauen des Papstes. Wer will es ihm dann noch verweigern?«
Sprach’s, straffte die Schultern und erklärte die Angelegenheit damit für beendet, indem er wortlos im Kreise seiner Priester von dannen ging.
Ludovicus und Aurel stritten auch dann noch, als nichts mehr von Gasbert de Laval oder Gaufridus Isnardi zu sehen war und sich die neugierigen Gaffer längst zerstreut hatten. Wie ein Rohrspatz keifte Ludovicus, während Aureis Stimme kalt und schneidend klang. Emy schien anfangs noch auf den Bruder einwirken zu wollen und versuchte halbherzig, ihn zu mäßigen. Doch Aurel schlug seine Hand zurück, viel zu beschäftigt damit, Ludovicus vorzuwerfen, sich dreist in sein Leben gemischt zu haben.
»Wenn du noch immer derart von der Vergangenheit besessen bist, so scheinst du heute nichts zu haben, was dich ausfüllt!«
»Du bist nicht allein auf dieser Welt, Javier! Auch du hast dich an Regeln zu halten!«
»Und wer bist du, sie mir aufzuerlegen?«
»Ich werde dich vernichten!«
»Was herauskommt, wenn du’s versuchst, hast du uns eben aufs Vorzüglichste bewiesen!«
»Wag es nicht«, geiferte Ludovicus. »Wag es nicht …«
Alaïs hörte nicht länger zu. Unverständlicher als die Vorwürfe, die sich die Männer gegenseitig an den Kopf warfen, war das, was eben geschehen war.
Sie zog Emy zur Seite. »Hast du das gesehen?«, fragte sie. »Da ist doch unglaublich! Ausgerechnet Laval? Hast du nicht selbst gesagt, er läge stets auf der Lauer und warte darauf, dass Aurel sich eine Blöße gibt? Und damals, in der Lagerhalle, habe ich ihnselbst sagen hören, dass er sich wünschte, ein Geheimnis von Aurel zu kennen, das ihn verletzlich macht!«
Emy kaute nachdenklich auf seinen Lippen. Spuren der Erschöpfung hatten sich in sein Gesicht eingegraben, als läge nicht nur ein Streitgespräch, sondern ein wüster Kampf hinter ihnen.
»Ich weiß nicht, warum Laval das getan hat«, meinte er fassungslos. »Ich weiß es einfach nicht … Vielleicht hat er sich damit abgefunden, dass Aurel dem Papst nahe steht!«
»Aber er hat doch nur auf die Möglichkeit gewartet, ihm zu schaden!«
Emy zuckte die Schultern. »Wer weiß … vielleicht hat er in den letzten beiden Jahren eingesehen, dass Aurel ihm kein wirklicher Feind ist. Und im Augenblick mögen seine Gedanken um anderes kreisen. Es gibt Gerüchte, dass er Erzbischof von Arles werden soll.«
Alaïs verstand nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hatte. Doch es war nicht nur Gasberts Verhalten, das es zu ergründen galt. Rätselhaft klang immer noch in ihren Ohren nach, was Ludovicus Aurel vorgeworfen hatte.
»Was ist damals in Montpellier wirklich passiert?«, fragte sie.
Emy machte einen großen Schritt, um einem Berg mit dampfendem Pferdemist auszuweichen. Immer weiter entfernten sie sich von Aurel und Ludovicus, die nicht zu zanken aufhörten. Sein Zögern verriet, dass er ihre Frage gerne umgehen würde. »Das ist eine lange Geschichte …«, setzte er gedehnt an.
»Deren Ausgang man sicherlich auch in wenigen Sätzen berichten kann.«
Er seufzte. »Es hat mit Raymond de Molières zu tun.«
»Der Rektor von der Universität zu Montpellier. So viel weiß ich mittlerweile auch.«
Emy seufzte wieder. »Er hat Aurel einst von der Universität verwiesen.«
»Nun und?« Alaïs konnte sich keinen Ort vorstellen, wo jemand wie Aurel sich keine Feinde machte.
»Ich habe dir doch erzählt … von jenem großen MedizinerBernard de Gordon und dass jener Aurel stets gefördert hat. Als er noch lebte, war Aurel ein angesehener Student – viele dachten zwar, dass er zu vorlaut war, zu dreist und stolz, aber niemand sagte es offen, solange Bernard de Gordon seine schützende Hand über ihn hielt. Doch nach seinem Tod hat sich alles verändert. Raymond de Molières hat Aurel von der Universität
Weitere Kostenlose Bücher