Die Gefährtin des Medicus
verwiesen … nach einem schlimmen Streit. Es hatte mit Ludovicus zu tun, der sein Amt als
Demonstrator
übernehmen sollte, welcher als Einziger auf Anweisung des Professors hin Leichname sezieren darf. Du kannst ahnen, dass Aurel nicht kampflos aufgab und sich eines Tages vielmehr heimlich in den Raum schlich, wo eine solche Leiche für den Unterricht bereit lag.«
Er seufzte anstatt auszuschmücken, was Aurel mit jener Leiche getan hatte. Alaïs konnte es sich auch ohne erklärende Worte ausmalen.
»Der Aufruhr und die Empörung am nächsten Tag waren grenzenlos. Die einen bewunderten Aurel heimlich, die anderen verspotteten ihn, und Raymond de Molières verwies ihn von der Universität, ehe er die große Abschlussprüfung ablegen konnte. Und jene ist vonnöten, auf dass sich in diesem Land irgendwer rechtmäßig
Cyrurgicus
nennen darf.«
Wenn es weiter nichts war! Alaïs lachte erleichtert auf. »Es gibt doch so viele Quacksalber … «
Emy schüttelte den Kopf. »Ich habe noch den Klang von Aureis Stimme im Kopf, als er mir davon berichtet hat. Von jenem wüsten Streit mit dem Rektor, der seiner nächtlichen Untat folgte. >Du denkst, du stehst ganz oben und blickst auf die andern hinab<, hat Raymond zu ihm gesagt. >Doch vergiss nie: Magst du auch denken, auf der Spitze einer Pyramide zu stehen – erbaut wurde sie von anderen. Dein oberster Stein hätte keinen Wert, hätten nicht viele andere die ihren herangeschafft.<«
»Und was hat er daraufhin gesagt?«
»Aurel? Kannst du dir das nicht denken?« Emy verzog seine Lippen zu einem schmerzlichen Lächeln. »Er hat den Mund nicht gehalten, so wie er das nie konnte. Es war wie in Kindertagen.Er wusste damals, wie schnell er unseren Vater zornig stimmen konnte; er wusste, wie schmerzhaft dieser ihn verprügeln würde. Trotzdem gab er nie klein bei – vielleicht nicht einmal trotzdem, sondern genau deshalb. Mochte er den Prügeln auch nichts entgegenzusetzen haben – zumindest das Heraufbeschwören, das lag in seiner Macht.«
»Aber kann Ludovicus ihm nun schaden oder nicht?«, fragte Alaïs ungeduldig.
»Der König von Sizilien, Friedrich II., hat einst ein Gesetz erlassen. Wer sich Medicus oder
Cyrurgicus
nennen will, muss sich erst von dazu auserwählten Männern prüfen lassen. Erst danach darf er seinen Beruf ausüben. Wer es widerrechtlich tut, dem drohen Kerkerhaft und der Verlust des gesamten Besitzes.«
»Aber Gasbert hat doch verkündet, Aurel besitze das Vertrauen des Papstes.«
»Das Vertrauen eines Papstes, der kaum etwas mehr hasst als Lüge und Verrat.«
»Aurel hat ihn nicht belogen … nicht wirklich zumindest …«
»Er hat sich den Titel
Cyrurgicus
zugesprochen – nenne es Anmaßung oder Lüge, ein Vergehen ist es in jedem Fall.«
»Aber Gasbert de Laval scheint sich doch schützend vor ihn zu stellen …«, meinte sie.
»Warum auch immer«, murmelte Emy. »Warum auch immer …«
Er zuckte die Schultern, sie tat es ihm gleich.
Sie ahnte, dass er von jener Stunde an warten würde. Darauf, dass Gasbert sein wahres Gesicht zeigen würde, dass Ludovicus seine Vorwürfe erneuerte, dass Gerüchte über Aureis Vergangenheit bis zum Ohr des Papstes dringen und dieser ihn zur Rede stellen würde.
Doch Tag um Tag verging – und nichts geschah.
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XX. Kapitel
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So plötzlich ward sie aus dem Schlaf gerissen, dass sie kurz nicht wusste, wo sie war. Alles um sie drehte sich, das Bild vor ihren Augen war verschwommen.
»Alaïs?«
Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. In tiefste Schwärze schien sie eingetaucht – doch nun, da jene langsam von ihr abfiel, gewahrte sie, dass es helllichter Tag war. Grau waren zwar alle Farben des Raums, in dem sie schlief, denn die Fensterluken waren mit schweren Balken verschlossen, doch durch die Ritzen flössen schräg die Sonnenstrahlen; Staubflocken tanzten darin.
»Alaïs?«, tönte wieder die Stimme, die sie aufgeweckt hatte.
Sie gehörte nicht Marguerite, sondern einer der Mägde.
»Was willst du, Frau?«, fragte Alaïs schlaftrunken und verärgert. Für gewöhnlich störte man sie nicht.
»Ich will gar nichts. Aber da draußen steht ein Franziskaner und fragt nach Aurel Autard.«
»Der wohnt hier nicht.«
»Das habe ich ihm auch gesagt. Aber er hört nicht auf mich. Eigentlich kann er gar nicht auf mich hören. Denn er krümmt sich vor Schmerzen und hat sich schon zweimal erbrochen.«
Seufzend stand Alaïs auf. Aurel hatte einst gesagt, dass der Schlaf am
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