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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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beklagt.«
    »Ach was! Man muss nur ausreichend wollen und dann …«
    »Aber ich will es nicht!«, rief sie, viel schärfer, als sie es bezweckt hatte. »Ich will nicht irgendwo hocken und darauf warten, dass mein Mann von der See heimkehrt. Ich will …«
    Jäh hielt sie inne, wusste nicht mehr, was sie sagen wollte und warum sie es voller Heftigkeit tat. Es schien auch zu genügen, seinen Traum weit von sich zu weisen, um ihn zum Schweigen zu bringen.
    Sein Blick kehrte zu ihr zurück, er bleckte seine Zähne, und er lachte. Erst als das Lachen verklungen war, ging ihr auf, wie künstlich es in ihren Ohren hallte. Doch sie wollte nicht länger darauf lauschen. Noch dichter rückte sie an ihn heran und küsste ihn. Er erwiderte es, wälzte sich auf sie, nahm ihren Leib ganz und schenkte sich auch selbst ganz.
    Der Gier aufeinander hatte seine geheime Hoffnung nichts anhaben können. Doch als sie später an seiner Seite einschlief, fühlte sie sich nicht mehr berauscht wie in den letzten Tagen, sondern einfach nur müde.

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XXXIV. Kapitel
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    In den Morgenstunden, als aus dem silbern glitzernden Meer ein graues, glanzloses wurde, kehrte sie zurück in die Hütte. Aurel lag da, den Rücken ihr zugewandt, sodass sie annahm, er schliefe. Möglichst geräuschlos legte sie sich nieder. Gerade war ihr der ganze Leib noch schwitzig und sandig erschienen, nun fühlte sie sich klamm – und obendrein durstig. Sie richtete sich auf und suchte in dem kleinen Raum nach dem Krug, wo mit Wasser gemischter Wein stand. Sie fand ihn nicht, erkannte nun aber, dass Aurel nicht schlief, sondern sich an seinem Beinstumpf zu schaffen machte. Einem kleinen Tonkrug entnahm er eine etwas ranzig riechende Paste und trug sie auf die roten Wundränder auf.
    »Was machst du denn da?«, entfuhr es ihr.
    Er blickte nicht hoch, rieb nur immer weiter. »Gänsefett«, sagte er schließlich. »Das ist Gänsefett. Kaum ein Mittel ist besser zur Behandlung von Narben. Es verhindert, dass eitrige Geschwüre daraus werden. Wobei … eigentlich gibt es noch etwas Besseres. Einen Draht aus Gold brauchte ich, damit könnte ich das überschüssige Gewebe wegbrennen.«
    Sie hatte das Gefühl, er spräche mehr vor sich hin als mit ihr. Stumpfsinnig wirkte das Schweigen, das folgte. Seine ewig gleichen Handbewegungen wühlten sie auf, anstatt sie zu beschwichtigen. Als sie bei Sancho gelegen hatte, hatte sie es zum ersten Mal gespürt: dieses Unbehagen, das über die sprühende Lebenslust der letzten Tage kletterte, wie Moder auf gekalkte Wände. Es war langsam, fast unsichtbar, doch das Grummeln in ihrer Magengegend verhieß nicht länger Aufregung, sondern Unzufriedenheit – sie wusste nicht, womit und mit wem, ob Sancho es ausgelöst hatte, ob Aurel das nun tat oder ob es allein in ihr wucherte.
    Sie sank nieder, schloss die Augen, fuhr wieder hoch.
    Aurel ließ indes plötzlich seine Hände ruhen. Er verbarg den Stumpf unter einer Decke und blickte sie an. Obwohl das Licht so dunstig war und tiefe Schatten auf sein Gesicht fielen, war ihr, als würde all das, was eben sacht an ihr zu zerren begann, in ihm schon viel länger einen Kampf heraufbeschwören, ein Gefühl der Enge – und den Unwillen, den es heraufbeschwor. In den letzten Wochen war es ihr vor allem bei ihm eng gewesen, doch nun deuchte sie seine Gegenwart passender als die aufgekratzte von Sancho.
    »Ich habe nie etwas anderes gewollt«, sprach er in die Stille.
    Seine Stimme kam ihr wie nackt vor. Den üblichen Stolz, die übliche Dreistigkeit, auch seine Unrast, seine Ungeduld – das alles hatte er abgelegt. Zurück blieb ein schlichtes und wahres Bekenntnis.
    »Was meinst du?«, fragte sie verwirrt.
    »Ich wollte den Körper des Menschen verstehen lernen. Ich bin mir sicher: Man muss nur gründlich hinsehen, dann wird man erkennen, woher sämtliche Leiden rühren. Man kann nicht sehen, was den Menschen treibt, was ihn gut oder böse macht, was er fühlt, was er in Wahrheit will. Aber man kann sehen, was ihn krank macht. Der Mensch ist ein Lügner – Krankheiten nicht.«
    Hätte er nicht so klar und bedächtig gesprochen, sie hätte gemeint, dass ein Fieberwahn ihn zu solch finsteren Gedanken trieb. Der Aurel, den sie kannte, hegte solche nicht. Doch vielleicht lag das daran, dass jener Aurel nie still gesessen hatte, nie tagelang tatenlos in eine Hütte gesperrt gewesen war, Schmerzen erleidend und Hilflosigkeit. Selbst damals in der Grotte, als er sich von so vielem abgeschnitten

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