Die Gefährtin des Medicus
sprechen. »Sie zogen durch diese Welt wie Fremde und waren nirgendwo daheim. Vielleicht waren sie mit sich selbst im Reinen, aber dass sie jemals wirklich glücklich waren, das glaube ich nicht. Akil weiß genau, was er will, und das ist mehr, als andere haben. Aber es gibt keinen Ort, keinen einzigen, nach dem er sich heimlich sehnt. Nein, so will ich nicht leben.«
Mit jedem Wort, das er sagte, schien er weiter von ihr fortzurücken, obwohl sein Leib immer noch an den ihren gepresst war. Der Sancho der letzten Tage hatte sich keine Gedanken gemacht. Er bestand aus Händen und Lippen und Haaren und Haut und Schweiß und Wärme – aber eine Vergangenheit, die ihn mitsonderbaren Menschen wie Gaspare und Akil zusammengeführt hatte, kannte er nicht.
Als er endlich schwieg, war sie erleichtert. Und fühlte doch übermächtig seine Erwartung, auch sie würde mit ihm sprechen wollen.
»Was möchtest du stattdessen?«, fragte sie schlicht.
Eine Weile blickte er sie an; immer noch nachdenklich, dann endlich wieder grinsend, schien er sagen zu wollen, dass ihr Leib vollends reichte, ihn zum glücklichsten aller Männer zu machen. Doch dann besann er sich einer anderen Sache. Er leckte sich mit der Zunge über die Lippen und machte dabei ein schmatzendes Geräusch.
»Weißt du, woran ich mich am besten erinnern kann, wenn ich an meine Kindheit zurückdenke?«, fragte er unwillkürlich.
»Du meinst, ehe du verschleppt worden bist? Aus jenem Dorf in der Nähe von Barcelona …«
Bislang hatte Alaïs nur erfahren, was danach geschehen war – dass er in Gaspares Hände gefallen war und dieser ihn vom Sklavendasein befreit hatte.
»Meine Mutter hieß Rosaria«, murmelte er und konnte nicht verbergen, dass seine Stimme wehmütig krächzte. »Ich weiß nicht mehr, wie sie aussah und ob sie eine schöne Frau war. Kinder wissen nicht, was Schönheit meint, sie unterscheiden Menschen danach, ob sie gut zu ihnen sind oder schlecht. Nun, ich weiß also nicht, ob sie schön war, ich glaube, sie war ziemlich dick. Ich weiß auch nicht mehr, wie es sich anfühlte, von ihr auf den Arm genommen zu werden. Aber eine Sache weiß ich ganz genau.« Wieder machte er jenen schmatzenden Laut. »Sie war eine hervorragende Köchin! Und am allerbesten schmeckte es, wenn sie ein frisch geschlachtetes Zicklein briet.«
Er blickte Alaïs nicht mehr an, sondern starrte an ihr vorbei. In seinen Augen glänzte es. »Sie hat es mit Olivenöl bestrichen, mit frischem Thymian und Rosmarin gewürzt, und ich weiß nicht, was sie alles in den Bratensaft mischte. Es schmeckte so fruchtig, vielleicht war es der Saft von Orangen, und zugleich gelanges ihr, die Kruste so zuzubereiten, dass sie unter den Zähnen knackte.«
Er rieb nun selbst die Zähne aufeinander, als wollte er jenes Geräusch nachmachen. »Wenn ich nur einmal … Wenn ich nur ein einziges Mal wieder das gebratene Zicklein meiner Mutter Rosaria essen könnte …«
Seine Stimme klang fremd. Der kecke Tonfall fehlte, und er erschauderte jäh. Unwillkürlich rückte Aläis noch dichter an ihn heran. Aurels Blick hatte ihr nie gehört – aber den von Sancho musste sie bislang nicht teilen, schon gar nicht mit vergangenen Gaumenfreuden. Sie gewährte ihm nicht die Zeit, in der Erinnerung zu versinken, sondern lenkte ihn ab, indem sie seine stacheligen Wangen küsste.
»Es muss so schön sein«, rief sie aus. »Auf einem Schiff herumzufahren, mal in die eine Stadt zu kommen, mal in die andere … Es muss so schön sein, wenn einem die ganze Welt eine Heimat ist!«
Er gewährte ihr die Umarmung, aber er erwiderte sie nicht. »Ach weißt du«, meinte er, und seine Stimme klang immer noch verhalten und abwesend. »Die ganze Welt wird dir nie eine Heimat werden. Sie bleibt dir immer fremd, ob du sie nun kennst oder nicht. Weißt du, wovon ich träume? Dass ich immer wieder in ein und denselben Hafen komme. Dass ich das Schiff verlasse, um dann den stets gleichen Weg zu gehen, den gleichen Geruch zu riechen, von rauschenden Pinienbäumen, von Olivenhainen, von Orangenbäumen, und … Ja, daran denke ich oft … Dann komme ich in ein Haus, das ich mir selbst errichtet habe. Es ist ganz schlicht. Es hat eine Wohnstube mit einem großen Herd und darüber eine enge Dachkammer. Und schon von weitem steigt mir dieser Geruch in die Nase, von jenem krossen Zicklein …«
»Wenn ich Fleisch zubereite, wird es zäh oder es verbrennt«, rief sie rasch dazwischen. »Meine Mutter hat das stets
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