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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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gefühlt hatte, war er imstande gewesen, herumzugehen und sich selbst zu versorgen.
    »Wenn erst …«, setzte sie an, »wenn erst dein Stumpf verheilt ist …«
    »Wie soll ich denn jemals wieder gerade stehen können?«, fragte er, nicht vorwurfsvoll, nicht verzweifelt, fast beängstigend nüchtern. »Und wenn ich nicht gerade stehen kann, wie soll ich dann operieren? Kranke trauen keinem Krüppel. Und …«, er zögerte, es fiel ihm sichtlich schwer, Letzteres zu bekennen, »und Pio Navales Schiff hat abgelegt. Einer von den Männern brachte vorhin die Nachricht. Er ist fort, er konnte, er wollte nicht auf mich warten – und er hatte recht. Welchen Nutzen hätte ich ihm auch erbringen sollen? Welchen Nutzen kann ich irgendeinem Menschen noch erbringen? Es gibt keine ferne Insel und kein neues Leben – zumindest nicht für mich, nicht für uns.«
    Ihr entging fast, dass er das erste Mal von ihnen beiden als
wir
sprach. Zu sehr war sie damit beschäftigt, die eigenen Gefühle zu ordnen. An Pio Navale und seine Reise hatte sie in den letzten Tagen nicht gedacht, hatte auch vermeint, sie brauchte die Aussicht auf eine ferne Insel nicht, um sich frei und lebendig zu fühlen wie nächtens am Meer. Doch jetzt traf sie der Verlust des Traums, den sie mit Aurel geteilt hatte, mit ganzer Wucht. Erfrischend neu war ihr Sancho erschienen in allem, was er tat – doch nun, in diesem engen, stickigen Raum, fragte sie sich, ob in der alten Welt jemals etwas so reizvoll und prickelnd sein konnte wie ein Leben in einer ganz neuen, die sich jenseits aller Grenzen befand.
    »Es tut mir leid«, murmelte sie, und sie wusste nicht, ob sie Aurel bedauerte oder sich selbst.
    Das Atmen fiel ihr schwer. Sie drehte sich um, um wieder ins Freie zu treten, sich an der frischen Luft zu laben.
    »Warte!«, rief Aurel ihr nach. »Wohin gehst du? Willst du nicht bei mir bleiben?«
    Er klang flehentlich. Sie hatte nie gehört, dass er um irgendetwas anderes bat, als darum, ein
Cyrurgicus
sein zu dürfen. Genau besehen kleidete er sein Flehen auch jetzt nicht in eine Bitte, sondern in eine Frage. Doch seine Angst vor der Einsamkeit war jedenfalls entblößt.
    »Was, Aurel, was verbindet uns denn?«, zischte sie und gabjäher Rachsucht nach, war jene nun billig oder nicht. »Was soll ich denn hier bei dir?«
    Fast rechnete sie damit, er würde ihren Triumph, ihn sich ausgeliefert zu wissen, sogleich beschneiden. Doch seine Hilflosigkeit war kein vorübergehender Schnitzer, sondern schien tiefer zu gehen, bis auf den Grund seiner Erinnerungen. Denn plötzlich förderte er welche hervor, von denen sie gar nicht gewusst hatte, dass sie in ihm begraben und nicht längst von den Eindrücken vieler Operationen verschüttet worden waren.
    »Früher hast du das gewusst«, sagte er kleinlaut. »Früher hast du zu mir gestanden. Du warst mutig, du warst ausdauernd. Dir war egal, wenn ich Verbotenes tat. Mehr noch: Es hat dir gefallen. Du hast ganze Nächte durchwacht, um mir dabei zu helfen, Leichname zu sezieren.« Er machte eine Pause, leckte sich über die Lippen. Sie hoffte, er würde nicht erahnen, wie ihr eben noch satter Triumph mit Verwirrung kämpfte. Und dann machte er ihr mit einem Mal ein Zugeständnis, das übertraf, was sie jemals von ihm zu hören gehofft hatte: »Du bist eine Frau wie es keine andere gibt, Aläis«, sagte er.
    Sie schluckte.
    Damit, dass sie ein Prachtweib sei, hatte Sancho sie betört. War das das Gleiche? Wem war sie kostbarer?
    Sancho hatte sie nicht jahrelang auf solch ein Bekenntnis warten lassen. Aber Sancho, an dessen Körper sie sich gierig und lüstern wundgerieben hatte, wollte, dass sie knusprige Zicklein briet wie seine Mutter und irgendwo darauf wartete, dass er von weiten Reisen nach Hause käme. War es letztlich nur das, wozu ein Prachtweib taugte?
    »Du hast mir nie gezeigt, dass dir sonderlich viel an meiner Gesellschaft liegt«, meinte sie spröde.
    Er achtete nicht auf ihre Worte.
    »Und weißt du noch …«, gab er sich Erinnerungen hin, äußerte sie sorgsam, als kaute er genussvoll auf besonderen Gaumenfreuden. »Und weißt du noch … damals … als wir den Jungen mit dem Blasenstein behandelt haben. Er hat gebrüllt vor Angst.Du warst es, die mich auf seine ängste aufmerksam machte. Du hast ihn auf eine Weise beruhigt, wie ich es nicht konnte. Und du hast schneller gelernt, all jene Arzneien zuzubereiten, als Emy. Und wie du mir das Bein abgeschnitten hast …« Er hielt inne. »Du bist klug,

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