Die Gefährtin des Vaganten
kaltblütige Morde. Sind sie denn alle so entmenschlicht, dass sie jederzeit losziehen und ihnen unbekannte Leute kaltblütig umbringen?« Laure sah den Hauptmann an. »Ihr habt solche Männer ausgebildet und befehligt. Habt Ihr ihnen beigebracht, jeden ungerührt zu töten, auf den Euer Finger zeigt?«
»Nein, Frau Laure. Obwohl das Kriegshandwerk ein grausames ist, steht doch immer ein Ziel dahinter. Sinnloses Töten ist tatsächlich unmenschlich. Wer die Burg oder das Gebiet eines ungetreuen Lehnsmannes erobern will, muss damit rechnen, dass Angreifer und Verteidiger zu Schaden kommen. Beide Seiten aber haben einen Grund, Gewalt anzuwenden. Genau wie ein Scharfrichter einen Grund hat, einen Verbrecher hinzurichten. Also müssen wir uns fragen, wer diesen Söldnern einen Grund genannt hat, dass sie in seinem Auftrag töten. Sie glauben, Frau Laure, dass sie im Recht sind.«
»Es sind die Zuhälter der Dirnen, die für eine Anzahl korrupter Priester arbeiten. Also sind diese es wohl auch, die ihnen einen Grund nennen, um dessentwillen bestimmte Menschen umgebracht werden müssen. Sie scheinen sie glauben zu machen, dass ihre Opfer Ketzer sind.«
»Ketzer? Ich verstehe nicht so recht, warum sie Ketzer sind. Ketzer leugnen den Glauben, nicht wahr?«
»Piet«, sagte Hagan. »Kläre Frau Laure darüber auf, was ein Ketzer ist.«
»Warum ich?«
»Weil du es am besten kannst, denke ich.«
Piet starrte einen Augenblick auf die Krümel auf dem leer gegessenen Zinnteller. Dann sagte er: »Ketzer, Frau Laure, sind, wie Ihr ganz richtig bemerkt, Menschen, die den christlichen Glauben leugnen. So ungefähr. Genau genommen sind es aber Menschen, die die Richtlinien und die Regeln der Kirche nicht anerkennen. Soeben hat man in Konstanz einen Ketzer deswegen verbrannt, weil er die Organisation der Kirche angegriffen hat. Jan Hus vertrat die Ansicht, dass jeder Mensch selbst zu Gott finden kann und daher weder Päpste noch Priester braucht.«
»Ja, aber …«
»Wenn alle plötzlich so denken würden, Frau Laure, würde ein ganzes Machtgebäude zusammenbrechen. Und darum hat man ihn flugs gefangen genommen, obwohl König Sigismund ihm freies Geleit versprochen hat. Gefangen genommen und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
Laure suchte nach Worten. Sie hatte schon viel von den Machenschaften der Kleriker gehört, von Heuchelei, Korruption und Unzucht. Sie hatte akzeptiert, dass Geistliche nur Menschen waren. Dass sie als Einzelne Verbrechen begingen, verstand sie auch. Aber das, was Piet eben sagte, war Verrat auf höchster Ebene.
»Ihr habt Frau Laure in Entsetzen gestürzt, Piet«, sagte der Hauptmann.
»Nein, das habe ich nicht. Sie ist weitaus klüger, als darüber entsetzt zu sein. Ketzer, Frau Laure, versteht Ihr, sind immer diejenigen, die eine bestehende Macht und Ordnung bedrohen. Sie gilt es zum Schweigen zu bringen. Manche kostet es das Leben, mich kostete es einen Arm, Martine die Zunge.«
Schweigen herrschte in der Küche.
Schließlich sagte Laure: »Ja, ich verstehe. Aber Stephan ist kein Ketzer. Er ist sogar sehr fromm.«
»Gewiss.«
»Der Herringsstetz – na gut, ins Taufbecken zu pinkeln ist sicher gotteslästerlich. Wenn Alard und Curt ihn dabei erwischt haben, dann könnten sie ihn für einen Ketzer gehalten haben. Aber doch Pater Elias nicht, oder?«
»Nein, und auch den Kaplan von Efferen nicht. Und Hanna nicht und ich auch nicht«, sagte Hagan. »Die Söldner, Zuhälter oder Züchtiger werden auf bestimmte Leute angesetzt, indem man ihnen erklärt, sie seien Ketzer und müssten zum Schweigen gebracht werden. Ich glaube nicht, dass sie es großartig hinterfragen. Ketzer zu sein bedeutet, dass man die geregelte Ordnung nicht anerkennt, damit außerhalb der Gemeinschaft steht und für sie eine Gefahr darstellt.«
»Welche Gefahr stellte Pater Elias dar, Herr Hagan?«
»Gar keine, Frau Laure. Aber der Herringsstetz stellte eine dar. Ich glaube, wir müssen verzwickter denken.«
Hauptmann Upladhin nickte zustimmend.
»Warst du schon immer gut drin, Magister.«
»Aber erklär es so, dass eine strohköpfige Zwergin es auch versteht.«
»Inocenta, aus dem Stroh in deinem Kopf kann man Gold spinnen. Also stell dich nicht so an«, knurrte Piet sie an. »Sprich, Hagan. Wir lauschen mit Spannung.«
»Gut. Nehmen wir den armen Heringshändler. Er unterliegt von Zeit zu Zeit dem bösen Drang, seine Notdurft in Taufbecken zu verrichten, in der irrwitzigen, aber festen Überzeugung, er sei
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