Die Gefährtin des Vaganten
Sonnenlicht, das durch die bleiverglasten Fenster fiel, ließ die kostbare Goldstickerei an seinen Ärmeln schimmern.
Er liebte den Prunk. Er liebte ihn, auch wenn die starre Robe unbequem und kratzig auf der Haut lag. Doch sie verlieh ihm die Würde und das Ansehen, das seiner Stellung angemessen war.
Nichtsdestotrotz wurde seine Stimmung von Groll bestimmt. Die Ereignisse der letzten Wochen hatten allerlei Pläne durchkreuzt und zukünftige Möglichkeiten zunichte gemacht.
Das Konzil in Konstanz hatte so eine ganz andere Wendung genommen als die, die er sich erhofft hatte.
Er blickte über die Gärten, die innerhalb des Wassergrabens lagen, der die Poppelsdorfer Burg umgab, doch er sah nicht die grünenden Maien und das Glitzern des Wassers, auf dem Schwäne ihre Bahn zogen.
Er sah in die Zukunft, und die war düster.
Dieser verdammte Johannes, eigentlich Baldassare Cossa, hatte zu hoch gespielt und verloren. Und seine Anhänger mit in den Abgrund gerissen. Jetzt saß er gefangen in Heidelberg und harrte seines Prozesses. Zweiundsiebzig Punkte umfasste die Anklageschrift, und dabei waren schlechte Amtsführung, Ämterkauf, Förderung des Schismas und sonstige Ärgernisse nur eine milde Formulierung für Bestechung, Ehebruch, Sodomie und Mord, die man diesem skrupellosen Söldner, der die Priesterweihe erst erhalten hatte, als er schon auf dem Papstthron saß, anlastete.
Dennoch, er war ein Machtmensch, und in seinem Schatten konnte man seine eigenen Ziele prächtig verwirklichen. Und er hatte ihm einen Vorschlag unterbreiten wollen, dem er nicht hätte widerstehen können – einen Vorschlag, der den Fels Petrus’ uneinnehmbar machen würde für alle Ewigkeit.
Jetzt ging das nicht mehr.
Es galt umzudenken, denn das Schicksal hatte sich für eine andere Wendung entschieden als die, die er geplant hatte. Baldassare war ein größenwahnsinniger Idiot, der seiner Unterstützung nicht wert war.
Der Mann schritt ruhelos in seinem Prunkgemach auf und ab, und seine Seidenrobe zischelte um seine Beine.
Er hatte seit Jahren eine Idee verfolgt, und die war zu kostbar, als dass er sie aufgeben konnte. Was also würde die Zukunft bringen? Welchen Vorteil würde man daraus ziehen können? Es gab immer einen Vorteil, wenn man nur genau hinschaute und nach Schwächen suchte. Und eine chaotische Lage wies immer Schwachpunkte auf.
Ja, natürlich – nun, da Papst Johannes XXIII . seine Macht verloren hatte, mussten auch die beiden anderen päpstlichen Schlappschwänze zurücktreten. Der Stuhl Petri würde auf gewisse Zeit verwaist sein, denn so schnell konnte man keinen Stellvertreter Gottes schnitzen, der von allen Interessenparteien akzeptiert würde.
Und dieser Umstand gab ihm selbst, dank seines einmaligen Wissens um ein unbeschreibliches Geheimnis, Raum, sich als Königsmacher – besser: als Papstmacher – zu betätigen.
Es war da nur eine winzig kleine Schwierigkeit auszuräumen, nämlich den festen Glauben der Christenheit an die leibliche Auferstehung Christi. Aber wo ein Wille, da ein Weg. Man musste die Geschichte nur gut verpacken. Und mit reichlich Geld untermauern.
Der Mann unterbrach seine Wanderung und setzte sich wieder an das Schreibpult. Nachdenklich betrachtete er die Abschrift eines hebräischen Textes, der ihm bereits vor Jahren in die Hände gefallen war. Ein Brief, angeblich geschrieben von Joseph von Arimathäa, dem Mann, der Jesus in Leinen hüllte und in sein eigenes Grab legte.
Daraus konnte man eine wunderbare neue Legende schaffen. Einzig diese entlarvenden Aufzeichnungen des Max von Hürth, Bruder eines tapferen Kreuzritters, der mit Ludwig dem Heiligen nach Jerusalem gezogen war, mussten dazu aus der Welt geschafft werden. Vor Jahren hatte er dessen geheimes Buch gelesen, dann aber hatte es die Meisterin der verschleierten Damen wieder an sich genommen.
Sollte dieser Bericht je an die Öffentlichkeit gelangen, konnte er das gesamte Vorhaben zum Scheitern verurteilen. Ja, das geheime Buch musste vernichtet werden, und alle, die davon wussten, am besten auch.
Ein solches Problem aber würde man zu lösen wissen.
Zufrieden machte sich der Mann daran, für seine ergebenen Priester und Pfarrer eine neue Legende zu entwerfen, die sie in ihren Predigten zukünftig mit erwähnen sollten.
Ein wenig musste man da das Nikodemus-Evangelium anpassen.
Der Mann stand auf und zog eine Schriftrolle aus ihrer Umhüllung. Gemächlich las er die besagte Stelle, in der Joseph von
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