Die Gefährtin des Vaganten
Düsterkeit in ihrer Seele wurde womöglich noch tiefer.
Vor anderthalb Jahren war er gestorben. Und sie mussten aus dem Pfarrhaus ausziehen, in dem ihre Mutter vorgeblich die Haushälterin war. Aber eigentlich war sie eine Pfaffenhure.
Immerhin hatte sie sich einen gütigen Mann ausgesucht.
Melle seufzte leise. Er hatte sie immer so freundlich behandelt. Schon damals hier in Limburg, als sie noch ganz klein war. Drei Jahre oder so war sie gewesen, als ihre Mutter sich mit dem Mann zusammengetan hatte. Zwei Jahre später waren sie nach Köln gezogen, weil der dort eine kleine Pfründe zugewiesen bekommen hatte. Das war aufregend. Die große Stadt hatte ihr gefallen, die belebten Märkte, die Messen, der Hafen mit seinen fremdländischen Schiffern, die Badehäuser und die großen Kirchen. Sie hatte ihrer Mutter im Haushalt geholfen, und das hatte ihr Spaß gemacht. Vor allem das Kochen. Aber noch mehr Freude hatte ihr das Lernen gemacht. Pfarrer Daniel hatte nämlich sehr geduldig all ihre vielen Fragen beantwortet. Er wusste so viel. Und sie war so neugierig.
Als sie wissen wollte, warum die Sonne aufging, erzählte er ihr die wunderbare Geschichte, wie Gott der Allmächtige die Erde geschaffen hatte und den Himmel und die Wasser vom Land geschieden hatte und es Licht werden ließ. Er erklärte ihr, wie der Herr aus Lehm den Menschen geformt und ihn mit seinem Atem beseelt hatte, und Melle fand es gut zu wissen, dass ein Schöpfer alles so gerichtet hatte, wie es war. Aber Pfarrer Daniel hatte ihr auch von dem Bösen berichtet, das in die wunderbare Schöpfung eingezogen war, um die Menschen zu verführen. Und damit konnte man erklären, warum manches Unglück geschah. Aber auch da wusste er Trost, denn Gott hatte seinen eigenen Sohn auf die Erde geschickt, um ihnen allen zu sagen, dass sie dereinst, wenn sie ein gottesfürchtiges Leben führten, von dem Bösen erlöst würden.
Ja, mit einer solchen Gewissheit konnte man leben.
Vielleicht sollte sie sich wieder darauf besinnen, dachte Melle. Vielleicht würde sie von dem ewigen Klappern des Webstuhls erlöst, von ihrer schlechten Laune, der Trauer über den Tod von Pfarrer Daniel und der Wut über ihre Mutter Hanna, die sie einfach zu der Muhm geschickt hatte wie einen Sack Lumpen.
Beten half da, hatte Pfarrer Daniel gesagt. Zur Jungfrau Maria, die konnte nämlich Fürbitte leisten. Oder eine andere Heilige. Melle hatte die Geschichte der heiligen Ursula zwar nicht so richtig gut gefunden, aber in Köln hatte Ursula den Ruf, sich huldvoll der Hilfesuchenden, insbesondere der Jungfrauen, anzunehmen.
Und so betete Melle in der halb zerfallenen Scheune zu der Märtyrerin.
Doch bevor sie das Amen sprechen konnte, wurde sie von einem leisen Wimmern abgelenkt. Ein so klägliches Wimmern, dass sie ihr Gebet hurtig beendete und durch das Heu zu der Stelle krabbelte, aus der es ertönte.
Sie musste ein wenig graben, bis sie die Quelle des Leids fand. Aber dann sahen sie zwei grüne Augen angstvoll an. Graues Fell, blutverschmiert.
Ein kleines, mageres Kätzchen. Als sie die Hände nach ihm ausstreckte, kratzte und fauchte es und versuchte zu entkommen. Doch weit kam es nicht, einer seiner Hinterläufe war nur noch ein blutiger Stumpf.
»Armes Kätzchen«, flüsterte Melle. »Armes, kleines Kätzchen.«
Sie zog die Schürze aus und packte das Tier. Noch einmal strampelte es, wimmerte dann wieder und hielt still.
»Hat dich der Hofhund erwischt? Oder ein Fuchs? Du bist ja noch so klein. Hat deine Mama dich verlassen?«
Mitgefühl überschwemmte Melle, und sie kroch, die Schürze fest an sich gepresst, aus dem Durchschlupf. Die Muhm würde wieder herumzanken, aber dem Kätzchen wollte sie helfen. Vielleicht heilte die Wunde ja. Auf jeden Fall würde sie dem kleinen Geschöpf etwas zu futtern geben. Weichen Käse vielleicht. Oder ein Eidotter.
8. Konkavelite
Laure machte ihren Kindern eine Freude, weshalb Paitze und Jan rote Finger hatten. Ihre Aufgabe war es, die Kirschen zu entkernen. Laure selbst hatte Mandeln gehäutet, sie zerkleinert und in Wasser aufkochen lassen. Jetzt drückte sie den Mandelbrei durch ein Tuch, fing die weißliche Mandelmilch in einem Topf auf und süßte sie mit Honig.
Elseken war draußen am Backes beschäftigt, weshalb sie die Küche eine Weile für sich hatten.
»Sind das genug Kirschen?«, fragte Jan, der diese Arbeit nicht gerne machte. Laure musterte das Häuflein zerfetzter Früchte.
»Noch ein paar mehr, Jan. Ich gehe
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