Die Gefährtin des Vaganten
heute Nachmittag zu Hemma und wollte ihr einen Topf Kirschspeise mitnehmen. Also, wenn ihr auch noch etwas davon naschen wollt, brauche ich eine ordentliche Menge Früchte.«
»Och.«
»Was heißt ›och‹?«
Paitze steckte sich eine Kirsche in den Mund und grinste sie an. Dann machten sich beide wieder über die roten Früchte her. Schließlich schien es Laure genug, und sie nahm die beiden Schüsseln an sich.
»Das ist solch eine Leckerei. Den Gästen gibst du auch nie davon«, sagte ihre Tochter und steckte sich noch eine Kirsche in den Mund.
»Nein, dafür ist ein Konkavelite zu aufwändig herzustellen, wie ihr ja gerade merkt. Aber Hemma ist meine Freundin, darum soll sie davon bekommen.«
Laure hängte den Kessel mit der Mandelmilch an den Herdhaken, schürte das Feuer darunter und gab die Kirschen in den Kessel. Dann verrührte sie einen Becher Rotwein mit feinstem Mehl und träufelte es in die kochende Masse, sodass sie langsam andickte.
»Elseken gibst du auch nichts davon ab«, murmelte Jan.
Laure zog es vor, diese Bemerkung zu überhören, und wies die beiden an, sich die bluttriefenden Finger zu waschen. Kichernd verschwanden ihre Helfer, und sie holte ein paar Tonschüsseln vom Bord, in die sie die rosige Masse einfüllte. Bis zum Mittag würde sie fest geworden sein. Dann würde sie noch etwas von dem kostbaren Zucker in Butter schmelzen lassen und dieses Karamell darübergießen.
Der Weg durch den Wald bereitete Laure Freude. Maigrün leuchtete das Unterholz im Sonnenlicht. Noch war das Laub nicht so dicht, dass der Boden im Schatten lag. Eine Decke aus weißen Buschwindröschen, blauen Veilchen und gelbem Huflattich breitete sich zwischen den hohen Stämmen der Buchen aus. Es ging bergauf, hin und wieder blieb sie stehen, um zu verschnaufen und sich an der Natur zu erfreuen. Vögel erfüllten die Luft mit ihrem vielfältigen Gesang, einmal sah sie einen Hirsch eilig vor ihren Schritten fliehen, und einem langschwänzigen Eichhörnchen blickte sie nach, als es sich in weiten Sprüngen zwischen den Ästen davonmachte.
Schließlich erreichte sie die Quelle des Forsbachs. Holunder, Schlehen und Haselbüsche umstanden hier ein kleines Areal, auf dem der Bach einen Teich bildete. Schwertlilien säumten das stille Gewässer, und erste Heckenrosen erblühten an seinem Ufer.
Laure begrüßte als Erstes einen riesigen Haufen Fell, aus dem ihr zwei müde Äuglein entgegenblinzelten.
»Na, Brummbär, noch immer nicht ausgeschlafen?«, fragte sie den zahmen Braunbären, der sich an einem sonnigen Plätzchen zusammengerollt hatte. Er antwortete ihr mit einem Gähnen. Auch andere Wildtiere lebten in Hemmas Nähe friedlich miteinander, und sie hielt nach ihnen Ausschau. Aber weder der Luchs noch der Waldkater ließen sich sehen, dafür gurrten zwei weiße Tauben oben auf dem First der Holzhütte, der graue, zottelige Wolf döste vor der Schwelle, und die glatte Salzlecke zeigte, dass allerlei Rotwild immer wieder zu Gast war.
Die Bewohnerin des Hauses schien jedoch nicht anwesend zu sein, aber ihre Tür stand allen Besuchern jederzeit offen. So trat Laure in den einzigen Raum ein. Ein kleiner steinerner Kamin, über dem ein Kessel hing, ein Bett mit einer Schütte aus getrocknetem Farn und einigen Decken, eine hölzerne Bank, ein Tisch, eine Truhe – mehr machte die karge Einrichtung nicht aus. Ein warmer Umhang aus gefilzter Wolle hing an einem Wandhaken, und in einem Körbchen auf dem Tisch häuften sich Federn, Kiesel, Nüsse, Schneckengehäuse und Rindenstücke. Daneben lagen ein kurzes, scharfes Messer und eine angefangene Schnitzerei.
Laure stellte die Schüssel mit der süßen Kirschspeise daneben und setzte sich nieder. Hemma würde nicht weit sein, und da sie ungewöhnlich gute Sinne besaß, würde sie merken, dass jemand gekommen war. Sie betrachtete in der Zwischenzeit den Inhalt des Korbes. Hemma fertigte feine Schnitzereien an, und was sie aus den Materialien des Waldes herstellte, erfreute sich großer Beliebtheit.
»Laure, ich grüße dich«, hörte sie schon nach kurzer Zeit die sanfte, leise Stimme der alten Frau. Sie trat mit einem weiteren Korb in der Hand durch die Tür und schnüffelte leise. »Es riecht süß und nach Mandeln.«
»Die Kinder waren Kirschen pflücken.«
Hemma stellte ihre Last ab und zog das Leinentuch von der Schüssel.
»Ja, die Zeit der roten Früchte beginnt. Die ersten Erdbeeren habe ich auch schon an geschützten Stellen gefunden.« Dann musterte
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