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Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Arimathäa seine Tat rechtfertigte, den gekreuzigten Jesus in sein Grab zu legen:
    »In gleicher Weise kam nun auch Joseph und sprach zu ihnen: ›Weshalb seid ihr aufgebracht gegen mich, weil ich um Jesu Leichnam gebeten habe? Seht, in mein neues Grab habe ich ihn gelegt, nachdem ich ihn in reine Leinwand gewickelt hatte, und dann wälzte ich einen Stein vor den Eingang der Felshöhlung. Ihr habt nicht schön an dem Gerechten gehandelt, dass ihr keine Reue empfunden habt ob seiner Kreuzigung, sondern ihn sogar mit einer Lanze durchbohrt habt.‹
    Da packten die Juden den Joseph und befahlen, ihn in sichere Verwahrung zu bringen bis zum ersten Tag nach dem Sabbat, und sie sagten zu ihm: ›Wisse, dass die Stunde verbietet, dir etwas anzutun, denn der Sabbat bricht an. Wisse aber auch, dass du nicht einmal eines Grabes wirst gewürdigt werden, sondern dass wir dein Fleisch den Vögeln des Himmels vorwerfen werden.‹«
    Der Mann überflog die folgenden Sätze, die Josephs Gefangenschaft betrafen, und konzentrierte sich wieder auf die Stelle, die beschrieb, wie dessen Gefängnis geöffnet wurde.
    »Als nun der Hohe Rat Platz genommen hatte, da befahlen sie, ihn vorzuführen unter größter Ehrlosigkeit. Und als sie die Tür öffneten, fanden sie ihn nicht. Und das ganze Volk geriet außer sich und wurde bestürzt, weil sie die Siegel unaufgebrochen vorfanden und weil den Schlüssel Kaiphas innehatte. Und sie wagten nicht mehr Hand zu legen an die, welche mit Worten vor Pilatus für Jesus eingetreten waren.«
    Irgendjemand hatte den guten Joseph von Arimathäa also befreit, und damit hatte er vermutlich Zeit gehabt, Jesu Leichnam ordentlich einzubalsamieren und aus seinem Grab an einen sicheren Ort zu bringen. Die blutigen Lein­tücher, in die der Leichnam nach der Kreuzabnahme gewickelt worden war, waren ja bereits gefunden worden, sinnierte der Mann über der Schriftrolle. Auch wenn diese Geschichte mit dem Grabtuch, auf dem das Abbild Jesu zu erkennen war, vermutlich auf einer schamlosen Fälschung beruhte. Papst Clemens VII . hatte das 1389 schon fest­gestellt. Aber das Volk glaubte solche Histörchen gerne, und diese würde seine These nur unterstützen, denn damit war in den Köpfen der Gläubigen schon vorbereitet, dass es überhaupt ein solches Grabtuch gab.
    Musste man nur noch eine kleine Legende dazudichten, und nach einer Weile intensiven Nachdenkens senkte er die Feder in die Tinte und schrieb sie auf. Sie handelte von drei frommen Rittern, die mit König Ludwig dem Heiligen ins Morgenland zogen. Als sie nach Akkon kamen, erhielten sie die Erlaubnis, die heiligsten Stätten des Landes zu besuchen. Auf Golgatha beteten sie, und hier erschien ihnen ein Engel, der ihnen das Grabtuch und das Schweißtuch schenkte und sie aufforderte, in Lydda in der Kirche zu beten, die Joseph von Arimathäa hatte errichten lassen.
    Das hörte sich doch gut an, oder?

7. Eine Bitte um Erlösung
    Wir glauben all’ an einen Gott,
    Schöpfer Himmels und der Erden,
    Der sich zum Vater geben hat,
    Dass wir seine Kinder werden.
    Kirchenlied
    Melle hatte sich wieder einmal gedrückt. Sie hasste die stumpfsinnige Webarbeit, zu der ihre Tante sie angehalten hatte. Die Stoffe aus der hausgesponnenen Wolle, auch eine Tätigkeit, die sie widerwärtig fand, waren kratzig und steif. So wie der graue Kittel, den sie tragen musste. Der einzige Vorteil war, dass der so gut wie nicht zerriss, egal, durch welche Durchschlüpfe man krauchte.
    Sie hatte sich der Tätigkeit an einen Ort entzogen, an dem man sie nicht suchen würde, und hier im Heu einer halb zerfallenen Scheune gab sie sich ihrer schlechten Laune hin.
    Melle war sich selbst nicht genug. Früher war das anders gewesen, aber in der letzten Zeit hatte alles Leben seine Freude verloren. Vielleicht lag es daran, dass ihr Körper sich jeden Tag irgendwie anders anfühlte. Mal schienen die Arme zu lang, mal die Füße zu groß, dann fing sich ihre Brust an zu runden, und der Frauenfluch hatte mit Bauchkrämpfen eingesetzt.
    Grässlich das alles.
    Und ihre Mutter war auch weggegangen und hatte sie wie einen Sack Mehl bei der Muhm abgeliefert.
    Weggegangen, um Hurerei zu betreiben.
    Und da sollte man Vater und Mutter ehren. So ’n Quatsch.
    Ihren Vater kannte sie nicht. Da war nichts zu ehren. Sie war ein Bastard aus einer flüchtigen Liebelei ihrer Mutter.
    Melle spielte mit einem Grashalm.
    Der Pfarrer Daniel, den konnte man ehren. Ja, das war möglich gewesen. Aber der war tot.
    Die

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