Die Gefahr
geringsten Gewissensbisse. Al-Houri war einer der Organisatoren des schlimmsten Terroranschlags in der amerikanischen Geschichte. Er hatte den Tod von dreitausend friedlichen Frauen und Männern bejubelt, und er hatte vor, Tausende weitere Unschuldige in den Tod zu schicken. Er war ein niederträchtiger, wahnsinniger Fanatiker, der nichts anderes verdient hatte als die Kugel, die ihm soeben einen großen Teil seines kranken Gehirns aus dem Schädel geblasen hatte.
Rapp ging vor den vier übrigen Gefangenen auf und ab. Keiner von ihnen wagte es, die Augen zu ihm zu erheben. Er wusste, dass ihnen von dem Schussknall immer noch die Ohren dröhnten, deshalb rief er mit lauter Stimme auf Arabisch: »Wer von euch will als Nächster zur Hölle fahren?«
Rapp forderte Urda auf, seine Worte auf Paschtu zu wiederholen. Er sprach zu den Gefangenen über den Sirat , die Brücke über die Hölle, über die alle Moslems schreiten mussten, um zu erfahren, ob sie in die Jannah oder ins Paradies kamen. Er rezitierte Verse aus dem Koran, in denen das Töten von unschuldigen Zivilisten verdammt wurde. Er hielt ihnen in eindringlichen Worten vor, dass man in einen Zustand der Reinheit gelangen müsse, um im Himmel aufgenommen zu werden. Einen Vers nach dem anderen trug er ihnen vor, damit sie in ihrem engstirnigen Denken zu zweifeln begannen, ob sie wirklich wahre Märtyrer und des Paradieses würdig waren. Er schrie ihnen in die Ohren, dass endlose Qualen auf sie warteten, und bot ihnen schließlich einen Weg der Reue und Umkehr. Als er alles so weit vorbereitet hatte, wie es die knappe Zeit erlaubte, war der Moment gekommen, um die Gefangenen zu trennen und sie einen nach dem anderen zu verhören.
Urdas Leibwächter kamen herein und schleppten drei der Männer hinaus, sodass nur noch derjenige übrig war, den Rapp für den Beginn des Verhörs ausgewählt hatte. Es war der Jüngste der vier, derjenige, der Rapp erkannt hatte. Er war einer der beiden, über die Rapp absolut nichts wusste. Natürlich wäre es hilfreich gewesen, wenn er irgendwelche Informationen über ihn gehabt hätte, doch er musste nun ohne diese Hilfe auskommen.
Rapp nahm zwei leere Zwanzig-Liter-Eimer und drehte sie um. Als er hinter den Gefangenen trat, zuckte der Mann zusammen. Das war ein gutes Zeichen. Rapp fasste ihn unter den Armen und hob ihn auf den Eimer. Dann stellte er den anderen Eimer vor ihn, setzte sich darauf und sah dem Mann in die Augen. Der leblose Körper von al-Houri lag neben ihm, sodass sich das Blut aus dem Kopf des Toten den nackten Füßen des Gefangenen näherte. Das würde ihn stets daran erinnern, wie dieses Verhör enden konnte.
Rapp musterte das Gesicht des Mannes aufmerksam. Er trug einen Bart und sah auf den ersten Blick nicht wie ein Araber oder Perser aus; er war wohl eher ein Afghane oder Pakistani und schien etwa Ende zwanzig zu sein.
»Sprichst du Englisch?«, fragte Rapp schließlich.
Der Gefangene wagte nicht, den Kopf zu heben und ihn anzusehen. »Ja«, antwortete er leise.
Die Antwort sagte bereits einiges. Es war wohl üblich, dass Englisch in Afghanistan und Pakistan als zweite Sprache gelehrt wurde, aber nicht in den Gebirgsregionen. Das bedeutete, dass der junge Mann höchstwahrscheinlich aus einer größeren Stadt stammte. »Wie heißt du?«
»Ahmed.«
»Hast du auch einen Nachnamen?«, fragte Rapp weiter.
Der Gefangene antwortete nicht sofort.
»Es ist ja nur ein Name«, sagte Rapp mit sanftem Nachdruck. »Du kennst ja auch den meinen.«
»Khalili«, sagte der Mann schließlich widerstrebend.
»Wie alt bist du?«, fragte Rapp weiter.
»Neunzehn.«
Rapp war überrascht, dass der Mann noch so jung war. Es sagte einiges über das harte Leben dieser Leute, dass man den Jungen auch für zehn Jahre älter hätte halten können. Rapp blickte zu Urda auf und hielt sich eine Hand ans Ohr, so als würde er telefonieren. Urda nickte und ging zur Tür. Rapp bezweifelte, dass sie den Namen des Neunzehnjährigen in ihrer Datenbank finden würden, doch einen Versuch war es auf jeden Fall wert.
»Bist du verheiratet, Ahmed?«
»Noch nicht.«
Der Junge sah ihm immer noch nicht in die Augen.
»Woher kommst du?«, fragte Rapp weiter.
Der junge Mann antwortete nicht und starrte weiter auf den Boden hinunter.
Rapp stand auf und trat hinter ihn. »Ich habe dich gefragt, woher du kommst.«
»Karatschi«, antwortete der Mann, die Schultern angespannt vor Angst.
Er kam also aus Karatschi, der großen Hafenstadt im
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