Die gefangene Braut
die Idee wäre ich nicht gekommen, Sir. Ich habe keine Feinde, von denen ich weiß.«
»Die Sache ist höchst ungewöhnlich, aber da Sie jetzt hier sind, müssen Sie unbedingt eine Erfrischung mit uns einnehmen. Der Zug nach Kairo fährt erst in zwei Stunden.«
William Dawson verabschiedete sich von Christina und machte mit ihr aus, sich bei ihr zu melden, wenn er nach Kairo kam, eine Woche nach ihr.
Die Zugfahrt war heiß und unangenehm. Es belustigte Christina, daß sie, bei all den Zügen, die es in England gab, um die halbe Welt gereist war, ehe sie zum erstenmal mit einem Zug fuhr. Sie zog die kühle Behaglichkeit der Kutsche bei weitem vor, wenn es auch manchmal sehr holprig war.
Mrs. Bigley und Christina saßen in dem überfüllten Ab-
teil zu zweit auf einem Sitz. »Ich habe gehört, daß es in der Wüste viele gefährliche Gesetzlose gibt. Stimmt es, daß die Beduinenstämme ihre Gefangenen zu Sklaven machen?« fragte Christina, die jetzt doch nervös war, Mrs. Bigley.
»Es ist alles wahr, meine Liebe«, erwiderte Mrs. Bigley, »aber machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Die gesetzlosen Stämme fürchten die Truppen Ihrer Majestät, und das sollte man ihnen auch raten. Sie verstecken sich in der arabischen Wüste, die weit von Kairo entfernt ist.«
»Das ist eine große Erleichterung«, seufzte Christina.
Der Zug fuhr vor Einbruch der Nacht in Kairo ein. Die Bigleys brachten Christina und John in einem Hotel unter.
»Wenn Sie sich erst eingerichtet haben, werde ich Ihnen die Stadt zeigen, und wir können zusammen in die Oper gehen«, sagte Mrs. Bigley freundlich. »Wußten Sie, daß die berühmte Oper Aida ausgerechnet hier anläßlich der Feierlichkeiten zur Eröffnung des Suezkanals uraufgeführt wurde?«
»Nein, das wußte ich nicht, aber ich habe ohnehin noch nicht allzuviel über dieses Land gelesen«, erwiderte Christina. Sie war zu müde, um sich heute noch übermäßig für irgend etwas zu interessieren. John und sie dankten den Bigleys für ihre Freundlichkeit und verabschiedeten sich von ihnen. John bestellte etwas Leichtes zum Abendessen, doch Christina brachte nur wenig herunter und zog sich früh in ihr Zimmer zurück.
Ihr Zimmer lag Johns Zimmer gegenüber, und ein heißes Bad erwartete sie. Schnell schlüpfte sie aus ihren Kleidern und glitt in die Wanne. Das ist der Himmel, dachte sie. Die Hitze und die Fahrt in dem überfüllten Zug hatten ihr das Gefühl gegeben, verklebt und schmutzig zu sein. Doch jetzt streckte sie sich genüßlich in dem dampfend heißen Wasser.
Sie blieb eine Stunde in der Wanne liegen, ehe sie die Seife abspülte und ihr Nachthemd anzog. Das heiße Was-
ser hatte sie entspannt, und es bereitete ihr keinerlei Schwierigkeiten, augenblicklich einzuschlafen.
6
Irgendwann mitten in der Nacht erwachte Christina durch ein Geräusch in ihrem Zimmer. Sie schlug die Augen auf und sah eine große Gestalt, die über ihr aufragte. Christina fragte sich, was auf Erden John hier zu suchen hatte, der neben ihrem Bett stand und sie im Dunkeln betrachtete. Doch dann wurde ihr klar, daß es nicht John sein konnte. Dieser Mann war größer als John, und sein Gesicht war bedeckt.
Sie wollte schreien, doch ehe sie einen Laut von sich geben konnte, legte sich eine riesige Hand auf ihren Mund. Sie versuchte, diese Hand fortzustoßen, aber der Mann war zu stark.
Plötzlich zog er sie an sich und küßte sie inbrünstig. Er preßte seinen Körper gegen ihren und fuhr mit seiner freien Hand kühn über ihre Brüste.
»Mein Gott«, dachte sie in heller Panik, »er wird mich vergewaltigen!« Christina wehrte sich heftig, doch ihr Angreifer ließ sie auf ihr Bett zurückfallen, brachte einen Knebel an und zog ihr einen Sack über den Kopf, der über ihren ganzen Körper reichte und den er an ihren Knien zuband. Dann hob er sie hoch und warf sie sich über die Schulter.
Christina trat um sich, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, doch er warf sie nur in die Luft, und als sie wieder auf seiner Schulter landete, blieb ihr der Atem aus. Sie spürte, daß er sich in Bewegung setzte, und sie hörte, wie die Tür ihres Schlafzimmers geöffnet und wieder geschlossen wurde.
Sie schienen sich eine Treppe hinunter zu begeben, und dann spürte sie einen leichten Windhauch an ihren nackten Füßen. Sie mußten im Freien sein. O Gott, was wird dieser Mann mir antun? Bin ich nur in dieses gottverfluchte Land gekommen, um hier zu sterben – und wie werde ich sterben? Wird er mich vorher
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