Die gefangene Braut
überrascht.
»Natürlich esse ich mit ihm. Wo sollte ich sonst essen?«
Amine riß ihre dunkelbraunen Augen auf. »Ich habe Nura nicht geglaubt, als sie es mir gesagt hat, aber wenn du es selbst sagst, muß ich es glauben.«
»Was ist so schockierend daran, daß ich mit Abu esse?« fragte Christina interessiert.
»Es ist den Frauen verboten, ihre Mahlzeiten mit den Männern einzunehmen«, antwortete Amine kopfschüttelnd. »Das tut man einfach nicht.«
Philip durchbrach also eine unumstößliche Regel, indem er mit ihr gemeinsam aß. Aber das ist doch lächerlich, dachte Christina. Ich bin doch nicht eine von ihnen. Ihre Regeln betreffen mich nicht. Aber sie wollte Amine nicht verletzen.
»Amine, du mußt verstehen, daß ich anders aufgewachsen bin. In meinem Land essen Männer und Frauen immer zusammen. Du siehst also, daß Abu nur versucht, mir die Möglichkeit zu geben, mich in seinem Land heimischer zu fühlen.«
»Ach so, jetzt verstehe ich das«, sagte Amine lächelnd. »Das ist sehr aufmerksam von Scheich Abu. Du hast Glück gehabt, daß er sich dich ausgesucht hat.«
Christina hätte am liebsten laut gelacht. Glück gehabt! Sie war entführt worden und gegen ihren Willen genommen worden! Aber sie erkannte, daß Amine romantisch war, und sie wollte ihr die Illusion nicht rauben.
»Abu ist ein gutaussehender Mann. Jede Frau würde sich glücklich schätzen, wenn er sie für sich auswählt«, log Christina. Jede Frau außer ihr. »Aber wo sind deine Kinder, Amine?«
»Maidi paßt auf sie auf. Es sind ihre einzigen Enkel, und sie ist vernarrt in sie. Es ist schwierig, hier zu heiraten, weil nicht viele Besucher in unser Lager kommen.«
»Wie hast du dann Syed kennengelernt?«
»Ach, Syed hat mich meinem Stamm geraubt«, sagte Amine stolz.
»Dich geraubt!« rief Christina aus. Waren denn alle diese Männer gleich?
»Unsere Stämme haben das Weideland miteinander geteilt, ehe sie sich verfeindet haben. Ich kannte Syed schon, als ich noch ein kleines Kind war, und ich habe ihn immer geliebt. Als ich alt genug war, um ihn zu hei-
raten, mußte er mich rauben. Mein Vater hätte die Heirat verboten.«
»Aber warum haben sich die beiden Stämme miteinander verfeindet?« fragte Christina mit wachsendem Interesse.
»Ich weiß nicht, denn über solche Dinge reden die Männer nicht mit den Frauen. Ich weiß nur, daß Scheich Ali Hejaz von meinem Stamm etwas gegen Yasir Alhamar hat. Es hat etwas mit Rashids Mutter zu tun, die die Schwester von Ali Hejaz war.«
In genau dem Augenblick ritt Philip mit einem langen Schwert am Gürtel und einer Flinte auf dem Rücken ins Lager.
»Ich muß jetzt gehen!« keuchte Amine, als sie Philip sah.
»Es hat mir Spaß gemacht, mich mit dir zu unterhalten, Amine. Komm doch bitte zu mir und besuch mich in meinem Zelt. Du bist mir immer willkommen, und du kannst gern deine Kinder mitbringen.«
»Das tue ich gern«, sagte Amine furchtsam.
Sie eilte in ihr Zelt, als Philip auf Christina zuritt und neben ihr anhielt, um abzusteigen.
»Warum ist Amine so eilig verschwunden?« fragte Philip.
»Ich habe den Eindruck, sie fürchtet sich vor dir«, antwortete Christina mit einem leisen Lächeln.
»Was?« Er sah sie ungläubig an. »Von mir hat doch niemand etwas zu befürchten!«
»Da täuschst du dich jetzt, mein Geliebter, denn allein deine Gegenwart löst Angst und Schrecken aus«, neckte sie ihn. »Siehst du denn nicht, wie ich zittere und bebe?«
Philip grinste sie an.
»Du, meine Süße, hast viel zu fürchten«, sagte er, und Christina errötete, als sie verstand, was er damit andeuten wollte. Und die Zeit, vor der sie sich am meisten fürchtete, nahte gerade heran, während die Sonne unterging.
Sie nahmen ein schmackhaftes Mahl ein, und nach dem Essen las Philip in einem der Bücher, die er Christina mitgebracht hatte, während sie lange Ärmel für ein Kleid nähte und laut lachte, als sie sich fragte, ob sie sich selbst einen Kaftan nähen sollte und sich vorstellte, wie sie in der Stammeskleidung der Beduinen wohl aussehen würde, denn selbstverständlich würde sie sich eine samtene kufijah dazu nähen.
Philip lächelte, als sie ihm ihre Überlegung mitteilte. »Möchtest du, daß ich dein Gepäck aus Kairo kommen lasse? Das ließe sich regeln.«
Christina dachte einen Moment lang darüber nach.
»Nein«, sagte sie dann. »John wäre nur außer sich, wenn plötzlich mein Gepäck verschwunden wäre. Ich will nicht, daß er sich Sorgen um mich macht. Ich
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