Die geheime Braut
unsicherer gegangen.
»Sollen wir umkehren?«, fragte Els besorgt. »Der Bader kann doch auch weiterhin zu uns ins Frauenhaus kommen und dich dort behandeln!«
Griet schüttelte den Kopf und tippelte weiter.
Sie hatte plötzlich das Gefühl gehabt, ersticken zu müssen, wenn sie nicht endlich wieder einen Fuß vor die Tür setzte. Denn nicht nur die Schmerzen machten ihr zu schaffen. Die Angst, der Patron würde sein Werk vollenden, war nicht gewichen, seltsamerweise aber schwächer geworden, und stattdessen empfand sie wachsende Wut.
Welches Recht nahm er sich heraus, sie zu verstümmeln, sie, die ihm stets treu und redlich gedient hatte?
»Ich hab mich noch nie verkrochen.« Griet atmete aus und schob den Schleier zurück. »Und das habe ich auch jetzt nicht vor. Sobald die Wunde verheilt ist, halte ich mein neues Gesicht in die Welt – und wer es nicht sehen will, der muss eben wegschauen.«
Sie mussten einem hoch beladenen Pferdekarren ausweichen, der ihnen entgegenkam. Die Last, Aberdutzende großer Holzkisten, schien besonders schwer zu sein, denn die Rösser gingen nur langsam.
»Sieht wie ein Umzug aus.« Els’ Finger deutete auf das Haus mit dem blauen Hahn, vor dem ein weiterer Wagen stand. Zwei Männer luden gerade fluchend neue Kisten auf.
»Was geht’s uns an?«, sagte Griet – und erstarrte plötzlich.
In der Tür stand ein Mann in einer dunklen Schaube, offenbar der Hausherr, denn er rief den Männern Befehle zu.
»Da drin ist etwas sehr Kostbares, Ihr Dummköpfe. Keine Holzscheite, die ihr nach Lust und Laune durcheinanderrüt teln könnt. Sollte auch nur das Geringste zu Bruch gehen, werde ich euch belangen. Darauf könnt ihr euch verlassen!«
Sein Gesicht, flächig und bartlos, hatte sie noch nie zuvor gesehen. Doch die heisere, fordernde Stimme hätte sie unter vielen erkannt. Wenn sie jetzt alles richtig machte, würde sie nie mehr Angst haben müssen. Und sie könnte Marlein aus dem Luther-Haus herausholen und mit ihr wie mit einer eigenen Tochter leben.
Hilf mir, Rup!, dachte sie. Lass mich endlich glücklich sein.
Sie packte Els am Arm und zerrte sie in die nächste Ein fahrt. Von dort lugte sie hervor, bis der Mann wieder im Haus verschwunden war.
»Du läufst jetzt sofort zum ehemaligen Schwarzen Klos ter«, befahl sie, »und verlangst die Herrin oder den Herrn zu sprechen! Hast du das verstanden?«
»Habe ich. Aber was soll ich sagen?«, fragte Els eingeschüch tert, denn Griets Tonfalls duldete keinerlei Widerspruch.
»Der Mann, den sie suchen, befindet sich in der Judengasse. In dem Haus mit dem blauen Hahn auf dem Giebel.«
*
Seine Beine brannten wie Feuer, doch das hinderte Jan nicht daran, den Weg zum Luther-Haus so schnell zurückzulegen, als wäre er niemals auch nur eine einzige Stunde im Loch gesessen. Cranach, der neben ihm ging, musste sich Mühe geben, Schritt zu halten.
»Ich glaub es nicht!«, rief Jan. »Kaum bin ich eingesperrt, macht Ihr Euch an Susanna heran!«
»Es war ihr Vorschlag, nicht meiner«, sagte Cranach keu chend. »Sie wollte unbedingt, dass ich sie male. Sie hat sogar darauf bestanden, um dich zu retten.«
»Ihr hättet trotzdem niemals zustimmen dürfen. Margaretha und Dilgin sind brutal ermordet worden. Wie konntet Ihr da ein drittes Opfer riskieren?«
»Ich hatte doch die beiden Gesellen losgeschickt, die sie bewachen sollten …«
»Feine Wachen! Simon hat wieder einmal gesoffen, anstatt die Augen offen zu halten, und Ambrosius ist vor Müdigkeit eingeschlafen. Das hat er mir selbst vorhin gestanden.«
Jans Mund wurde schmal.
»Hat es Euch erregt, als sie nackt vor Euch stand? Hat es das?«
»Hat es nicht. Sie durfte alle ihre Kleider anlassen. Ich konnte ja auf deine Zeichnungen zurückgreifen.«
»Ihr habt mein Skizzenbuch gestohlen? Dann gebt es mir sofort zurück!«
»Von Diebstahl kann keine Rede sein. Susanna hat ein paar Blätter herausgerissen, nach denen ich arbeiten konnte. Nach ihrem eigenem Gutdünken, wohlgemerkt. Ich habe dein Skiz zenbuch nicht. Es muss bei ihr sein.«
Cranach stieß einen Seufzer aus.
»Wir wussten beide um die Gefahr. Aber mir erschien es als der einzig mögliche Plan, um den Mörder zu stellen. Dazu freilich musste das Gemälde erst einmal fertig sein.«
»Und habt Ihr ihn gestellt?«, fragte Jan scharf.
»Nein«, erwiderte Cranach. »Denn das Bild wurde zuvor gestohlen – ohne Firnis übrigens, denn dazu hatte ich noch keine Zeit. Was wird die Kurprinzessin nun wohl sagen?«
»Die
Weitere Kostenlose Bücher