Die geheime Braut
Beine kommen, es sei denn, sie haben sie dir …«
»Meinen Beinen fehlt nichts«, sagte Jan. »Nur verdammt steif und kraftlos sind sie geworden. Dieser Altenstein hatte ganz besondere Methoden, um einen mürbe zu machen: perfide und äußerlich kaum nachzuweisen. Hattest du schon einmal Angst zu ertrinken? So habe ich mich über Stunden hinweg gefühlt. Noch eine weitere Nacht – und ich hätte womöglich jedes beliebige Geständnis abgelegt. Man sinkt hinab auf die unterste Stufe, tiefer als jedes Vieh, und ist zu allem bereit, nur damit die Qual endlich aufhört.«
»Die Qual liegt hinter dir«, sagte Moritz. »Unten ist ein prächtiges Frühstück gedeckt. Die Cranachin scheint über aus erfreut, dass du wieder bei uns bist, und hat alles aufgetischt, was Küche und Keller zu bieten haben.« Er schnitt eine Grimasse. »Und noch jemand wartet bereits sehnsüchtig auf dich.«
»Susanna? Sie ist hier?«
»Susanna? Leider nein. Aber dafür jemand, der vor Reue kaum noch aus den Augen schauen kann.«
Hans hielt den Blick beharrlich auf seinen Teller gesenkt, als die beiden hereinkamen, während Luc aufsprang und Jan freudig begrüßte.
»Vater hat mir gesagt, dass du unschuldig bist«, sagte er. »Jetzt komme ich mir ganz dämlich vor, dass ich dir jemals misstrauen konnte. Bitte verzeih mir! Es wird nicht wieder vorkommen.«
Jan berührte im Vorbeigehen kurz Lucs Kopf.
»Hans?«, dröhnte Cranachs Stimme. »Und was ist mit dir? Hast du vielleicht deine Zunge verschluckt?«
»Tut mir auch leid«, nuschelte der Junge.
»Ich höre nichts«, rief Cranach.
»Es tut mir leid«, wiederholte Hans, eine Spur deutlicher. »Sehr leid sogar.«
»Ich – höre – noch – immer – nichts!«, schrie Cranach. »Lauter, mein Sohn, wenn ich bitten darf!«
Das Gesicht des Jungen färbte sich rot, und seine Lippen pressten sich zusammen.
»Lasst ihn!«, sagte Jan. »Wir regeln das später untereinander.«
»Meinetwegen«, sagte Cranach. »Inzwischen habe ich die Tür zur Werkstatt inspiziert. Keine Spur von gewaltsamem Eindringen. Das heißt, sie wurde von innen geöffnet oder absicht lich offen gelassen. Moritz behauptet, nichts davon zu wissen. Sobald Simon und Ambrosius zurück sind, werde ich sie mir einzeln vornehmen.«
»Wo habt Ihr sie denn hingeschickt?«, fragte Jan. »Neue Farben holen?«
»Zum Luther-Haus«, platzte Luc heraus. »Um deine Liebste zu bewachen.«
»Susanna?« Jans Blick flog zu Cranach. »Weshalb? Was habt Ihr mit ihr gemacht?«
*
Sein Geruch, den sie kaum noch ertragen konnte, verursachte ihr Brechreiz. Susanna drehte den Kopf zur Seite, doch seine Hand zwang sie, wieder geradeaus zu schauen.
»Was siehst du?«, flüsterte er.
»Drei Frauen«, sagte sie, erleichtert darüber, dass zumindest der widerliche Knebel endlich aus ihrem Mund war.
»Wie lauten ihre Namen?«
»Die linke ist Aglaia, die rechte Thalia. Und die in der Mitte …«
Sein Schlag traf sie unter dem rechten Auge. Ihr Kopf flog zur Seite. Sie vernahm ein Knirschen.
Hatte er ihr einen Knochen zertrümmert?
»Glaubst du, ich ließe mich von einer wie dir verhöhnen?« Er trat einen Schritt zurück, musterte sie abfällig. »So gründlich waren meine Vorbereitungen. An alles hatte ich gedacht – den Maler, den Auftraggeber, die Modelle. Und dann kommst du und zerstörst meinen genialen Plan!«
Er war wahnsinnig, obwohl die Worte flüssig aus seinem Mund perlten, das verrieten ihr sein starrer Blick und seine merkwürdigen Bewegungen. Es war, als wären seine Arme und Beine einem anderen, stärkeren Willen untertan.
Abermals in seiner Gewalt, war es übler als je zuvor, denn von hier aus schien eine Flucht unmöglich: gefangen in einem abgedunkelten Raum, inmitten von Holzkisten, aus denen selt same Gerüche drangen.
Ob er noch andere hier eingesperrt hatte, deren Lebenslicht langsam erlosch? Frauen, denen er aufgelauert und die er heim lich weggeschleppt hatte, so wie Margaretha, Dilgin und nun sie selbst?
»Ich brauche ihr Bildnis, um sie für immer zu besitzen. Dazu mussten sie sterben, damit keiner sie mir jemals wieder wegnehmen kann. Denn meine heimliche Braut wurde mir einst von einem anderen gestohlen, und das soll niemals wieder geschehen. Sie hat mich damals verraten, weil er reich und angesehen war – und ich nur ein armer Student. Dafür büßen sie nun, Weiber, die sich reiche, angesehene Männer zum Gatten erkoren haben, Männer freilich, die sie trotz allem nicht schützen konnten.«
Er packte
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