Die geheime Braut
ihn schon aus dem Schuldturm holen müssen, doch er wird wohl so weitermachen, bis er endgültig ruiniert ist. Mein zweiter Bruder, Wolfram, hat der Welt entsagt und ist Mönch geworden. Was blieb für mich, den Letzten? Schon in Jugendtagen musste ich mich an einem Fürstenhof verdingen, dessen Oberhaupt bald darauf mit seinen Nachbarn in Streit geriet. Es kam zu endlosen Kämpfen und wüsten Brandschatzungen, von denen eine mir schließlich dieses Andenken eingebracht hat« – er deutete auf sein Gesicht –, »das ich seitdem unter Metall verberge, um die Menschen nicht zu erschrecken. Seit ein paar Jahren stehe ich nun in den Diensten des Kurprinzen …«
Er hielt inne und redete erst weiter, als Bini ihm aufmunternd zunickte.
»… bis mich vor einigen Wochen ein seltsames Schreiben erreichte. Ein Unbekannter bot mir eine stattliche Summe, würde ich in seinem Namen bei Meister Cranach ein Gemälde in Auftrag geben: die drei Grazien, nackt dargestellt. Da mein Bruder Götz abermals in großen Schwierigkeiten steckte, habe ich eingewilligt, zumal jener Schreiber einen gewichtigen Trumpf gegen mich in der Hand hielt. Allerdings wurde mir immer flauer zumute, als ich nach und nach erfuhr, welche Frauen als Modell für die Grazien dienen sollten: Margaretha Relin, Dilgin von Thann – und schließlich Ihr.«
Sein Blick ging zu Katharina.
»Ich? Auf solch einem Bild?« Luthers Frau war kalkweiß geworden. »So etwas kann sich nur ein Feind unserer Religion ausdenken.«
»Dazu ist es nicht gekommen. Denn inzwischen wurden die Leichen von Margaretha und später auch die von Dilgin entdeckt …«
»Und was ist mit dem Frauenhaus, das Euch gehört?«, unterbrach Luther Falks Bericht. »Mit den hässlichen Blutbuchstaben, die Ihr dort an die Wand geschmiert habt? Und dem jungen Geschöpf, das dort elend verreckt wäre, hätte eine mildtätige Seele sich nicht im letzten Moment seiner er barmt?«
»Davon weiß ich nichts«, sagte Falk. »Ich habe nichts mit Blut geschrieben und besitze auch kein Haus, in dem Frauen sich Männern für Geld anbieten. Allerdings habe ich früher gelegentlich bei Hübschlerinnen verkehrt. Welche andere Frau hätte einen wie mich noch anschauen wollen? Bei einem dieser Besuche hat mir eine junge Dirne halb im Spaß die Maske vom Gesicht gezogen – und ist daraufhin so sehr er schrocken, dass sie einen Atemkrampf bekam und daran erstickt ist. Teufel , so hat sie mich im Sterben, um Luft japsend, genannt, und seitdem lastet diese Schuld am Tod eines Menschen wie Blei auf mir.«
Es war still geworden im ehemaligen Refektorium.
»Der Briefschreiber, der hinter allem steckt, muss auf irgendeine Weise davon erfahren haben und hat mich damit erpresst. Er wusste von der toten Dirne, von meiner Maske, er wusste auch, dass ich den Militärdienst quittiert habe und nun als Bibliothekar und Archivar des Kurprinzen tätig bin. Er hat gedroht, Seiner Hoheit alles zu offenbaren, sollte ich mich weigern, seiner Aufforderung nachzukommen. Aus Angst und ja, auch aus Feigheit habe ich schließlich eingewilligt. So habe ich ein zweites Mal Schuld auf mich geladen.«
»Es klingt einigermaßen einleuchtend«, sagte Katharina. »Und doch fällt es mir schwer, Euch zu glauben.« Ihr Blick ging zu Bini. »Was hast du überhaupt mit ihm zu schaffen?«
»Ich bin ihm eines Tagen beim Waschen am Elbufer begegnet«, erwiderte Bini. »Dort kamen wir ins Gespräch, und ich habe nach und nach meine anfängliche Scheu vor ihm verloren. Ich glaube ihm. Mein Herz spürt, dass es die Wahrheit ist.«
»Herzen können bisweilen sehr unvernünftige Ratgeber sein«, sagte Luther. »Besonders, wenn sie jungen, unerfahrenen Weibern gehören. Wenn er nun doch der Mann ist, der die beiden Frauen auf dem Gewissen hat – und Relin womöglich dazu? Schließlich verbirgt er sein Gesicht nicht ohne Grund.«
»Ihr wollt mein Gesicht sehen?« Falk berührte das Metall. »Dann freilich macht Euch auf etwas gefasst, das Ihr so schnell nicht mehr vergessen werdet!«
»Wartet!«, ergriff Muhme Lene das Wort. »Ich weiß, was wir tun: Marlein ist die Einzige, die uns jetzt helfen kann. Ich gehe sie holen. Dann wissen wir mehr.«
*
Die ersten Schritte waren die reinste Qual. Jan schimpfte, stol perte, fluchte, ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Doch Moritz, der in seine Kammer gekommen war, kaum war es hell geworden, ließ ihm keine Ruhe.
»Du darfst nicht aufgeben, Jan!«, sagte er. »Ein Kerl wie du muss doch wieder auf die
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