Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
verschwommen und lieblich im zwielichtigen Boudoir meiner Träume wohnte.
»Komm herein«, sagte ich.
Sie tat es und machte die Tür hinter sich zu. Ich setzte mich auf die Kante des ungemachten Bettes, barfuß und mit offenem Kragen, und dachte, wie wunderbar es wäre, wenn dies wirklich ein Traum wäre, wenn ich zu ihr hinübergehen und ihr Gesicht in beide Hände nehmen und küssen könnte, auf die Augen, auf den Mund, auf die Stelle an ihren Schläfen, wo das honigfarbene Haar in seidigen Goldflaum überging.
Wir schauten einander lange an.
»Bist du krank?« fragte sie dann.
Das Schimmern ihres goldenen Armbands im Dunkeln. Ich schluckte und wußte kaum, was ich sagen sollte.
Sie stand wieder auf. »Ich gehe lieber wieder«, sagte sie. »Tut mir leid, daß ich dich gestört habe. Ich wollte dich nur fragen, ob du Lust auf eine Autofahrt hättest.«
»Was?«
»Eine Autofahrt. Aber laß nur. Ein andermal.«
»Wohin denn?«
»Irgendwohin. Nirgendwohin. Ich treffe mich mit Francis in zehn Minuten am Commons.«
»Nein, warte.« Ich fühlte mich wunderbar. Eine narkotische Schwere lag mir noch immer köstlich in den Gliedern, und ich stellte mir vor, wie schön es sein müßte, mit ihr – schlaftrunken, wie hypnotisiert – im schwindenden Licht durch den Schnee zum Commons hinüberzuspazieren.
Ich stand auf – es dauerte eine Ewigkeit; der Fußboden wich allmählich vor meinen Augen zurück, als würde ich durch irgendeinen organischen Prozeß einfach immer größer und größer – und ging zu meinem Wandschrank. Der Boden schwankte sanft unter mir wie das Deck eines Luftschiffes. Ich suchte meinen Mantel heraus, dann einen Schal. Handschuhe waren zu kompliziert, als daß ich mich damit abgeben wollte.
»Okay«, sagte ich. »Fertig.«
Sie zog eine Braue hoch. »Es ist ein bißchen kalt draußen«, sagte sie. »Meinst du nicht, du solltest Schuhe anziehen?«
Wir gingen durch Matsch und kalten Regen zum Commons; Charles, Francis und Henry erwarteten uns dort. Diese Zusammensetzung kam mir bedeutsam vor, auf irgendeine nicht völlig klare Weise: Alle waren da außer Bunny! »Was ist los?« fragte ich und blinzelte ihnen entgegen.
»Nichts«, sagte Henry und zeichnete mit der glänzenden Spitze seines Regenschirms ein Muster auf den Boden. »Wir wollten nur ein bißchen herumfahren. Ich dachte, es würde vielleicht Spaß machen« – er legte eine zartfühlende Pause ein –, »die Schule für eine Weile hinter uns zu lassen, vielleicht irgendwo zu essen ...«
Ohne Bunny, das ist hier der Subtext, dachte ich. Wo war er? Henrys Schirmspitze glitzerte. Ich blickte auf und sah, daß Francis mich mit hochgezogenen Brauen musterte.
»Was hast du?« fragte ich gereizt und stand leicht schwankend in der Tür.
Er atmete mit scharfem, belustigtem Zischen aus. »Bist du betrunken ?« fragte er.
Sie schauten mich alle irgendwie komisch an. »Ja«, sagte ich. Es stimmte nicht, aber ich hatte keine Lust, irgend etwas zu erklären.
Der kalte Himmel, dunstig vom feinen Regen über den Baumwipfeln, ließ sogar die vertraute Gegend um Hampden nichtssagend und entlegen erscheinen. Die Senken waren weiß vom Nebel, und der Gipfel des Mount Cataract lag völlig verhüllt und unsichtbar im kalten Dunst. Da ich ihn nicht sehen konnte, diesen allwissenden Berg, der Hampden und seine Umgebung in meinen Sinnen verankerte, hatte ich Mühe, mich zu orientieren, und es war, als nähmen wir Kurs in ein fremdes und unerforschtes Territorium, obwohl ich diese Straße schon hundertmal und bei jedem Wetter gefahren war. Henry saß am Steuer; er fuhr wie immer ziemlich schnell, die
Reifen sirrten auf der nassen, schwarzen Straße, und das Wasser sprühte zu beiden Seiten hoch auf.
»Ich habe mir das Haus dort vor ungefähr einem Monat angesehen«, sagte er und fuhr langsamer, als wir uns einem weißen Farmhaus auf einem Hügel näherten. Einsame Heuballen sprenkelten die verschneiten Wiesen. »Es ist immer noch zu verkaufen, aber ich glaube, sie fordern zuviel.«
»Wie viele Morgen sind es?« fragte Camilla.
»Einhundertfünfzig.«
»Was, um alles in der Welt, würdest du mit so viel Land anfangen?« Sie hob eine Hand, um sich das Haar aus den Augen zu streichen, und wieder sah ich den Schimmer ihres Armbandes: ... wehendes Haar so süß, braunes Haar über den Mund geweht ... »Du würdest doch keine Landwirtschaft betreiben, oder?«
»Wie ich sehe«, sagte Henry, »kann es gar nicht genug sein. Ich hätte
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