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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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fragte er und fiel mir ins Wort, ehe ich etwas einwerfen konnte. »Yale, Harvard, so was? Oder waren sie auf irgend’ner Staatsuni?«
    Es war die billigste Sorte Grausamkeit. Meine Lügen über meine Familie waren auch nicht ohne, denke ich, aber solchen grellen Attacken konnten sie nicht standhalten. Meine Eltern hatten beide die High School nicht zu Ende gebracht; meine Mutter trug hauptsächlich Hosenanzüge, die sie in einer Fabrikverkaufsstelle erwarb. Auf dem einzigen Foto, das ich von ihr hatte, einem Schnappschuß, blinzelte sie verschwommen in die Kamera, die eine Hand auf dem Drahtzaun, die andere auf dem neuen Traktorrasenmäher meines Vaters. Dieser war augenscheinlich der Grund, weshalb sie mir das Bild überhaupt geschickt hatten; meine Mutter hatte wohl das Gefühl, ich könnte mich für diese Neuerwerbung interessieren. Ich hatte es behalten, weil es das einzige Bild von ihr war, das ich hatte, und verwahrte es in meinem Webster’s Wörterbuch (unter M wie Mutter) auf meinem Schreibtisch. Aber eines Nachts stand ich auf, plötzlich verzehrt von der Angst, daß Bunny es beim Herumschnüffeln in meinem Zimmer finden könnte. Kein Versteck erschien mir sicher genug. Schließlich verbrannte ich es in einem Aschenbecher.
    Sie waren schon unangenehm genug, diese privaten Verhöre, aber ich finde keine Worte für die angemessene Beschreibung der Qualen, die ich litt, wenn er seine Kunst in der Öffentlichkeit auszuüben beliebte. Bunny ist tot – requiescat in pace  –, aber so lange ich lebe, wird mir ein spezielles sadistisches Zwischenspiel in Erinnerung bleiben, dem er mich in der Wohnung der Zwillinge unterzog.
    Ein paar Tage zuvor hatte Bunny mich mit der Frage gelöchert,
wo ich in die Grundschule gegangen sei. Ich weiß nicht, warum ich nicht einfach die Wahrheit gestehen konnte: daß ich die Public School in Plano besucht hatte. Francis hatte eine ganze Reihe von unheimlich exklusiven Internaten in England und der Schweiz absolviert, und Henry war auf entsprechend exklusiven amerikanischen gewesen, bevor er in der elften Klasse endgültig ausgestiegen war; aber die Zwillinge waren auch nur auf eine kleine Tagesschule auf dem Lande in Roanoke gegangen, und selbst Bunnys eigene heilige Schule in Saint Jerome’s war eigentlich nur eine teure Nachhilfeschule gewesen, wie man sie hinten im Anzeigenteil von Town and Country angepriesen findet: eine Schule, die auf die besondere Betreuung akademisch Minderbegabter spezialisiert ist. Meine eigene Schule war in diesem Zusammenhang nicht besonders schändlich, und doch wich ich der Frage aus, so lange ich konnte, bis ich ihm schließlich, verzweifelt und in die Enge getrieben, erzählte, ich sei in Renfrew Hall gewesen, einer vom Tennis geprägten, nicht weiter bemerkenswerten Jungenschule in der Nähe von San Francisco. Das hatte ihn scheinbar zufriedengestellt, bis er das Thema zu meinem gewaltigen Unbehagen vor allen Leuten noch einmal zur Sprache brachte.
    »Du warst also in Renfrew«, sagte er kumpelhaft, sah mich an und warf sich eine Handvoll Pistazien in den Mund.
    »Ja.«
    »Wann bist du da abgegangen?«
    Ich nannte das Datum meines echten High-School-Examens.
    »Ah«, sagte er und mampfte fleißig auf seinen Nüssen. »Dann warst du mit von Raumer zusammen.«
    »Was?«
    »Alec. Alec von Raumer. Aus San Fran. Freund von Cloke. Der war neulich im Zimmer, und wir haben uns unterhalten. Massenhaft alte Renfrew-Boys in Hampden, sagt er.«
    Ich schwieg und hoffte, er werde es dabei belassen.
    »Dann kennst du also Alec und die alle.«
    »Äh, flüchtig«, sagte ich.
    »Komisch. Er sagt, er erinnert sich nicht an dich.« Bunny griff sich wieder eine Handvoll Pistazien, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Überhaupt nicht.«
    »Es ist eine große Schule.«
    Er räusperte sich. »Meinst du?«
    »Ja.«
    »Von Raumer sagt, sie ist winzig. Nur ungefähr zweihundert
Leute.« Er schwieg, warf sich eine Handvoll Pistazien in den Mund und redete kauend weiter. »In welchem Haus hast du gewohnt, sagst du?«
    »Du würdest es doch nicht kennen.«
    »Von Raumer hat aber gesagt, ich soll dich ausdrücklich fragen.«
    »Wieso kommt’s denn darauf an?«
    »Oh, kommt’s ja nicht, kommt’s überhaupt nicht, altes Haus«, sagte Bunny liebenswürdig. »Aber es ist doch verdammt komisch, n’est-ce pas ? Da seid ihr vier Jahre zusammen da, du und Alec, in so ’ner winzigen Schule wie Renfrew, und er hat dich kein einziges Mal auch nur gesehen?«
    »Ich war ja nur

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