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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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zwei Jahre da.«
    »Und wieso stehst du nicht im Jahrbuch?«
    »Ich stehe im Jahrbuch.«
    »Nein, stehst du nicht.«
    Die Zwillinge sahen betreten aus. Henry hatte uns den Rücken zugewandt und tat, als höre er nicht zu. Jetzt sagte er ganz plötzlich, und ohne sich umzudrehen: »Woher weißt du, ob er im Jahrbuch steht oder nicht?«
    »Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch in keinem Jahrbuch gestanden«, warf Francis nervös ein. »Ich kann es nicht ertragen, fotografiert zu werden. Immer, wenn ich versuche ...«
    Bunny hörte nicht zu. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück.
    »Na los«, sagte er zu mir. »Ich zahle dir fünf Dollar, wenn du mir sagen kannst, wie das Haus hieß, in dem du gewohnt hast.« Sein Blick war starr auf mich gerichtet, und in seinen Augen brannte ein schreckliches Entzücken.
    Ich sagte irgend etwas Unzusammenhängendes, stand konsterniert auf und ging in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Ich lehnte mich an die Spüle und hielt mir das Glas an die Schläfe; im Wohnzimmer flüsterte Francis etwas, unverständlich, aber wütend, und dann lachte Bunny rauh. Ich goß das Wasser in den Abfluß und drehte den Hahn auf, damit ich nichts hören mußte.
     
    Wie kam es, daß ein so diffiziler, nervöser und empfindlicher Verstand die Nachricht von dem Mord an dem Farmer so relativ problemlos verarbeitete, während Bunnys doch sehr viel robusterer und einfacherer völlig aus dem Gleichgewicht geriet? Darüber denke ich immer noch manchmal nach. Wenn Bunny in Wirklichkeit nur auf Rache aus war, dann hätte er sie mühelos und ohne eigenes Risiko haben können. Was, bildete er sich ein, war bei
dieser langsamen und potentiell explosiven Quälerei zu gewinnen? Diente sie in seiner Vorstellung irgendeinem Zweck, einem Ziel? Oder waren seine Handlungen für ihn ebenso unerklärlich wie für uns?
    Aber vielleicht waren sie auch gar nicht so unerklärlich. Denn das Schlimmste an all dem, wie Camilla einmal bemerkte, war nicht, daß Bunny irgendeine totale Persönlichkeitsveränderung, einen schizophrenen Bruch erlitten hatte, sondern eher, daß bestimmte unangenehme Elemente seiner Persönlichkeit, auf die wir bisher nur kurze Blicke hatten werfen können, sich in einem verblüffenden Ausmaß verstärkt und vergrößert hatten. So abscheulich sein Benehmen auch war, gesehen hatten wir es alle schon, nur eben in nicht so konzentrierter und ätzender Form. Selbst zu glücklichsten Zeiten hatte er sich über meinen kalifornischen Akzent, über meinen Secondhandmantel, über mein aller geschmackvollen bibelots bares Zimmer lustig gemacht – aber auf eine so freimütige Weise, daß ich darüber nur hatte lachen können. (»Gütiger Himmel, Richard«, hatte er wohl gesagt, und dabei hatte er meinen alten schwarzweißen Schuh hochgehoben und einen Finger durch das Loch in der Sohle geschoben, »was ist bloß los mit euch kalifornischen Kids? Je reicher ihr seid, desto schäbiger lauft ihr rum. Gehst nicht mal zum Friseur. Eh ich mich versehe, hast du Haare bis auf die Schultern und schlurfst in Lumpen rum wie Howard Hughes.«) Ich wäre nie auf die Idee gekommen, beleidigt zu sein; das hier war Bunny, mein Freund, der noch weniger Taschengeld hatte als ich und außerdem einen großen Riß im Hosenboden. Ein großer Teil meines Grauens vor seinem neuen Benehmen entsprang der Tatsache, daß es seiner alten und offen liebenswerten Art, mit der er mich früher aufgezogen hatte, so ähnlich war, und ich war verdutzt und erzürnt über seine jähe Abkehr von den Regeln, als hätte er mich – angenommen, wir hätten gelegentlich freundschaftliche Sparringskämpfe ausgefochten - in die Ecke getrieben und halb tot geboxt.
    Daneben war – all diesen unangenehmen Erinnerungen zum Trotz – noch so viel vorhanden von unserem alten Bunny, den ich kannte und liebte. Manchmal, wenn ich ihn aus der Ferne sah, wie er mit den Fäusten in den Taschen pfeifend mit seinem alten federnden Schritt dahinhüpfte, dann durchzuckte mich die Zuneigung, gemischt mit Bedauern, wie ein scharfer Schmerz. Ich verzieh ihm hundertfach, und immer auf der Grundlage solcher Kleinigkeiten: eines Blicks, einer Geste, einer bestimmten Neigung des
Kopfes. Dann erschien es unmöglich, daß man je auf ihn wütend sein könnte, egal, was er täte. Leider waren dies auch oft die Augenblicke, die er sich für seine Attacken erwählte. Er war liebenswürdig, charmant, schwatzte in seiner alten, gedankenlosen Art, und dann lehnte

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