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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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sah, daß ich immer noch aus dem Fenster starrte. Der Hippie hatte sich gebückt und wühlte unter seiner Theke herum. »Soll ich mal hupen oder was?«
    »Nein «, schrie ich, nervös von dem Kokain, und schob ihre Hand von der Hupe.
    »O Gott , erschreck mich doch nicht so!« Sie drückte die Hand an die Brust. »Scheiße, ich bin vielleicht auf Speed – mir fliegt der Kopf weg. Dieses Koks war verschnitten oder so was. Okay, okay«, sagte sie gereizt, als die Ampel grün wurde und der Lastwagen hinter uns zu hupen begann.
     
    Gestohlene arabische Bücher? Ein Esoladen in Hampden Town? Ich hatte keine Ahnung, was Henry da trieb, aber so zusammenhanglos, wie seine Unternehmungen erschienen, hatte ich doch ein kindliches Vertrauen in ihn, und so zuversichtlich wie Dr. Watson, der die Handlungen seines berühmten Freundes beobachtet, wartete ich darauf, daß ein Plan Gestalt anzunehmen begänne.
    Was in gewisser Weise nach zwei Tagen geschah.
    Donnerstag nacht gegen halb eins – ich war im Pyjama und versuchte, mir mit Hilfe eines Spiegels und einer Nagelschere die Haare zu schneiden (was mir nie besonders gut gelang; das Ergebnis sah immer ein bißchen stachlig und kindisch aus, à la Arthur Rimbaud) – klopfte es an meine Tür. Ich öffnete mit der Schere und dem Spiegel in der Hand. Es war Henry. »Oh, hallo«, sagte ich. »Komm rein.«
    Er stieg vorsichtig über die Büschel von staubig braunem Haar und setzte sich an meinen Schreibtisch. Ich inspizierte mein Profil im Spiegel und machte mich mit der Schere wieder ans Werk. »Was gibt’s?« fragte ich und hob den Arm, um ein langes Büschel neben meinem Ohr abzuschneiden.
    »Du hast eine Zeitlang Medizin studiert, nicht wahr?«« sagte er.
    Ich wußte, daß dies das Vorspiel zu einer Frage nach meinem ärztlichen Rat sein würde. Das einjährige medizinische Vorstudium hatte mich mit bestenfalls spärlichen Kenntnissen ausgestattet, aber die anderen, die überhaupt nichts von Medizin verstanden und die in ihr ohnehin eher eine Art von einfühlender Magie denn eine wirkliche Wissenschaft sahen, holten beständig meine Meinung zu ihren Beschwerden und Wehwehchen ein, wie Wilde ihren Medizinmann konsultieren. Ihre Ahnungslosigkeit war anrührend und bisweilen regelrecht schockierend. Henry – vermutlich weil er so oft krank gewesen war – wußte besser Bescheid als die übrigen, aber gelegentlich verblüffte sogar er mich mit einer völlig ernstgemeinten Frage über gute und schlechte Körpersäfte.
    »Bist du krank?« fragte ich, mit einem Auge auf sein Spiegelbild schauend.
    »Ich brauche die Formel für eine Dosierung.«
    »Was meinst du damit, die Formel für eine Dosierung? Was willst du dosieren?«
    »Die gibt es doch, oder? Eine mathematische Formel, mit der sich die richtige zu verabreichende Dosis berechnen läßt, je nach Körpergewicht und Größe? Dergleichen?«
    »So was hängt ja auch von der Konzentration eines Medikaments ab«, sagte ich. »Dazu kann ich nichts sagen. Das mußt du im Ärztlichen Praxishandbuch nachschlagen.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Das ist aber sehr einfach zu benutzen.«
    »Das meine ich nicht. Es steht nicht im Ärztlichen Praxishandbuch.«
    »Du würdest dich wundern, was da alles drinsteht.«
    Einen Moment lang hörte man nur das Geräusch meiner Schere. »Du verstehst nicht«, sagte er schließlich. »Dies ist nicht etwas, was Ärzte für gewöhnlich verschreiben.«
    Ich ließ die Schere sinken und sah sein Spiegelbild an.
    »Meine Güte, Henry«, sagte ich, »Worum geht’s denn? LSD oder so was?«
    »Nehmen wir’s mal an«, sagte er ruhig.
    Ich legte den Spiegel hin, drehte mich um und starrte ihn an. »Henry, ich glaube nicht, daß das eine gute Idee ist«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob ich es schon mal erzählt habe, aber ich habe zwei-, dreimal LSD genommen. Im zweiten Jahr auf der High School. Es war der schlimmste Fehler, den ich in meinen ganzen ...«
    »Es ist mir klar, daß es schwierig ist, die Konzentration einer solchen Droge zu bestimmen«, unterbrach er mich ungerührt. »Aber laß uns annehmen, wir hätten ein gewisses Maß an empirischem Material. Laß uns annehmen, wir wüßten zum Beispiel, daß die Menge x des in Frage stehenden Medikaments genügt, um auf ein siebzig Pfund schweres Tier zu wirken, und daß eine andere, etwas größere Menge hinreicht, um es zu töten. Ich habe mir eine ungefähre Formel erarbeitet, aber mir kommt es auf größte Genauigkeit an. Wenn ich also so viel schon

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