Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Zug hinunter und ging ohne das flüchtigste Abschiedswort hinaus.
Als ich mit gesenktem Kopf, die Hände in den Taschen, durch den Wald nach Hause ging, stieß ich buchstäblich mit Camilla zusammen. Sie war sehr betrunken und in überschwenglicher Stimmung.
»Hallo«, sagte sie, hakte sich bei mir unter und führte mich zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war. »Rate mal. Ich habe ein Date gehabt.«
»Hab’ ich schon gehört.«
Sie lachte – ein dunkles, süßes Glucksen, das mir das Herz erwärmte. »Ist das nicht komisch?«« sagte sie. »Ich komme mir vor wie eine Spionin. Bunny ist gerade nach Hause gegangen. Das Problem ist bloß, ich glaube, Cloke mag mich irgendwie.«
Es war so dunkel, daß ich sie kaum sehen konnte. Das Gewicht ihres Arms war wunderbar angenehm, und ihr Atem, süß vom Gin, streifte meine Wange.
»Hat Cloke sich anständig benommen?« fragte ich.
»Ja. War sehr nett. Er hat mir ein Abendessen spendiert und ein paar rote Drinks, die schmeckten wie Bonbonwasser.«
Wir traten aus dem Wald hinaus auf die verlassenen, blau erleuchteten Straßen von North Hampden. Alles wirkte still und seltsam im Mondschein. Ein sanfter Wind ließ irgendwo auf einer Veranda ein Glockenspiel klingen.
Als ich stehenblieb, zog sie an meinem Arm. »Kommst du nicht mit?« fragte sie.
»Nein.«
»Warum nicht?«
Ihr Haar war zerzaust, und ihr reizender Mund war dunkel fleckig von den Bonbonwasser-Drinks; ich brauchte sie nur anzusehen und wußte, daß sie nicht die leiseste Ahnung hatte, was bei Henry im Gange war.
Sie würde morgen mit ihnen gehen. Irgend jemand würde wahrscheinlich sagen, sie brauche nicht mitzukommen, aber am Ende würde sie doch mitgehen.
Ich hustete. »Hör mal«, sagte ich.
»Was?«
»Komm mit zu mir.«
Sie zog die Brauen zusammen. »jetzt?«
»Ja.«
»Warum?«
Das Windspiel klang wieder, silbrig, hinterhältig.
»Weil ich es möchte.«
Sie schaute mich mit leerer, trunkener Gefaßtheit an und stand dabei wie ein Fohlen auf dem Außenrist ihres Fußes, so daß der Knöchel in einem verblüffenden, mühelos erscheinenden L einwärts geknickt war.
Ihre Hand lag in meiner. Ich drückte sie kräftig. Wolken jagten über den Mond.
»Komm«, sagte ich.
Sie erhob sich auf die Zehenspitzen und gab mir einen kühlen, sanften Kuß, der nach Bonbons schmeckte. O du, dachte ich, und mein Herz schlug schnell.
Plötzlich löste sie sich von mir. »Ich muß gehen«, sagte sie.
»Nein. Bitte geh nicht.«
»Ich muß. Sie werden sich schon fragen, wo ich bin.«
Sie küßte mich noch einmal rasch, wandte sich dann ab und ging die Straße hinunter. Ich schaute ihr nach, bis sie an der Ecke war, und dann vergrub ich meine Hände in den Taschen und machte mich auf den Heimweg.
Am nächsten Tag erwachte ich mit einem Ruck; die Sonne schien frostig, und unten am Gang dröhnte eine Stereoanlage. Es war spät - Mittag, vielleicht schon Nachmittag. Ich langte nach meiner Uhr auf dem Nachttisch und erschrak noch einmal, heftiger diesmal. Es war viertel vor drei. Ich sprang aus dem Bett und begann mich anzuziehen, sehr hastig, und ohne mir die Mühe zu machen, mich zu rasieren oder wenigstens zu kämmen.
Als ich im Korridor meine Jacke überzog, sah ich Judy Poovey, die mir zielstrebig entgegenkam. Sie war für ihre Verhältnisse aufgedonnert und hatte den Kopf schräg gelegt, um einen Ohrring zu befestigen.
»Willst du mitfahren?« fragte sie, als sie mich sah.
»Mitfahren? Wohin?« fragte ich verwirrt; meine Hand lag noch auf dem Türknopf.
»Was ist los mit dir? Lebst du auf dem Mars oder was?«
Ich starrte sie an.
»Zur Party«, sagte sie ungeduldig. »›Swing into Spring‹. Oben in Jennings. Sie hat vor einer Stunde angefangen.«
Ihre Nasenlöcher waren an den Rändern kaninchenhaft entzündet; sie hob eine rotbekrallte Hand und wischte sich die Nase.
»Laß mich raten, was du dir reingezogen hast«, sagte ich.
Sie lachte. »Ich hab’ noch eine Menge davon. Jack Teitelbaum war letztes Wochenende in New York und hat eine ganze Tonne mitgebracht. Und Laura Stora hat Ecstasy, und dieser komische Typ aus dem Kellergeschoß in Durbinstall – du weißt schon, der mit dem Chemieexamen – hat gerade einen Eimer Meth gebraut. Willst du mir erzählen, daß du von all dem nichts wußtest?«
»Nein.«
»›Swing into Spring‹ ist eine große Sache. Alles bereitet sich schon seit Monaten drauf vor. Schade, daß es nicht gestern war; das Wetter war so toll. Warst
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