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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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du beim Mittagessen?«
    Sie meinte, ob ich heute schon draußen gewesen war. »Nein«, sagte ich.
    »Na ja, ich meine, das Wetter ist okay, aber ein bißchen kalt. Ich war draußen, und es ging gleich ab wie, oh, Scheiße. Jedenfalls. Kommst du mit?«
    Ich sah sie verständnislos an. Ich war aus meinem Zimmer gerannt, ohne zu wissen, wo ich hinwollte. »Ich muß mir was zu essen holen«, sagte ich schließlich.
    »Das ist ’ne gute Idee. Letztes Jahr war ich da und hatte vorher nichts gegessen, und dann hab’ ich Pot geraucht und, na, bestimmt
dreißig Martinis getrunken. Es ging mir okay und alles, aber dann ging ich zum Fun O’Rama. Weißt du noch? Die Kirmes, die sie da hatten – na, ich glaube, du warst noch nicht hier. Jedenfalls. Böser Fehler. Ich hatte den ganzen Tag gesoffen und ’n Sonnenbrand, und ich war mit Jack Teitelbaum und den ganzen Typen zusammen. Ich hatte nicht vor, weißt du, irgendwo mitzufahren, aber dann dachte ich: Okay. Das Riesenrad. Kein Problem. Ich kann mit dem Riesenrad fahren ...«
    Höflich hörte ich mir den Rest ihrer Geschichte an; sie endete, wie ich vorher gewußt hatte, damit, daß Judy sich hinter einer Hotdogbude feuerwerksmäßig übergab.
    »Deshalb dachte ich dieses Jahr, ich dachte, nein, nichts davon. Bleib beim Koks. Can’t beat the feeling. Übrigens, du solltest deinen Freund da – du weißt schon, wie heißt er gleich – Bunny, den solltest du mitnehmen. Er ist in der Bibliothek.«
    »Was?« Ich war plötzlich ganz Ohr.
    »Yeah. Zerr ihn da raus. Er soll sich was reinziehen oder so.«
    »Er ist in der Bibliothek?«
    »Yeah. Ich hab’ ihn vorhin durch das Fenster im Leseraum gesehen. Hat er kein Auto?«
    »Nein.«
    »Na, ich dachte, vielleicht könnte er uns fahren. Ist ziemlich weit zu Fuß nach Jennings. Oder, ich weiß nicht, vielleicht liegt es auch bloß an mir. Ich schwör’ dir, ich bin so was von aus der Form, ich muß wieder anfangen mit Jane Fonda.«
     
    Inzwischen war es drei. Ich schloß meine Tür ab und ging hinüber zur Bibliothek; nervös klingelte ich mit meinem Schlüssel in der Tasche.
    Es war ein seltsamer, stiller, bedrückender Tag. Der Campus schien verlassen – vermutlich war alles auf der Party –, und der grüne Rasen und die bunten Tulpen lagen wie in gedämpfter Erwartung unter dem bedeckten Himmel. Irgendwo knarrte ein Fensterladen. Über mir in den bösartigen schwarzen Klauen einer Ulme raschelte ein verhedderter Drachen und hing dann wieder still. Das ist Kansas, dachte ich. Kansas vor dem Wirbelsturm.
    Die Bibliothek glich einem Grab; aus dem Innern fiel das kalte Licht der Leuchtstoffröhren, und der Kontrast ließ den Nachmittag kälter und grauer erscheinen, als er war. Die Fenster des Leseraums waren hell und spiegelblank. Bücherregale, leere Kabinen, keine Menschenseele.
    Die Bibliothekarin – eine verachtungswürdige Kuh namens Peggy – saß hinter ihrem Schreibtisch und las in einer Nummer von Women’s Day. Sie blickte nicht auf. Das Kopiergerät summte leise in der Ecke. Ich lief die Treppe hinauf in den ersten Stock und ging hinter der Fremdsprachenabteilung vorbei zum Leseraum. Er war leer, wie ich mir gedacht hatte, aber auf einem der Tische am vorderen Ende sah ich ein beredtes kleines Nest aus Büchern, zerknülltem Papier und fettigen Kartoffelchipstüten.
    Ich ging hin, um es mir näher anzusehen. Es wirkte, als sei es erst kürzlich verlassen worden; eine Dose Traubenlimonade stand noch da, dreiviertel leer, aber noch beschlagen und kühl. Ich überlegte einen Moment lang, was ich tun sollte – vielleicht war er nur auf der Toilette und würde gleich wieder zurückkommen –, und ich wollte gerade gehen, als ich den Zettel sah.
    Oben auf einem Band der World Book Encyclopedia lag ein einmal zusammengefaltetes, schmuddeliges Blatt liniertes Papier, und am Rand stand in Bunnys winziger Krakelschrift »Marion«. Ich faltete das Blatt auseinander und las schnell:
    altes Mädel,
     
    Ätzend langweilig hier. Bin zur Party, ein Bierchen zischen. Biß später.
    B.
    Ich faltete den Zettel zusammen und ließ mich schwer auf die Armlehne von Bunnys Stuhl fallen. Bunnys Spaziergänge, wenn er sie machte, begannen gegen ein Uhr mittags. Jetzt war es drei. Er war auf der Party in Jennings. Sie hatten ihn verpaßt.
    Ich ging die hintere Treppe hinunter und durch die Tür im Kellergeschoß hinaus, und dann lief ich hinüber zum Commons; die rote Backsteinfassade erhob sich flach wie eine Theaterkulisse vor

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