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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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ich.
    »Was?«
    Am besten, ich rückte gleich damit heraus und sagte es: »Weißt du«, wiederholte ich, »ich fühle mich wirklich nicht zu dir hingezogen. Ich meine, nicht in der ...«
    »Ist das nicht interessant«, sagte er kühl. »Ich fühle mich auch nicht zu dir hingezogen.«
    »Aber ...«
    »Du warst eben da.«
    Den Rest des Wegs bis zur Schule legten wir in nicht sehr behaglichem Schweigen zurück.
    Es war unglaublich, aber vor Ort herrschte an diesem Morgen noch größere Betriebsamkeit als bisher. Jetzt waren Hunderte von Leuten da – in Uniformen, mit Hunden und Megaphonen und Kameras. Sie kauften süße Brötchen am Imbißwagen und versuchten, in die verdunkelten Fenster der Übertragungswagen hineinzuspähen; drei Stück waren jetzt da, einer von einem Sender aus Boston, und sie parkten auf dem Rasen vor dem Commons neben all den Autos, die nicht mehr auf den Parkplatz paßten.
    Henry fanden wir auf der vorderen Veranda des Commons. Er war ganz vertieft in ein kleines pergamentgebundenes Buch in irgendeiner nahöstlichen Sprache. Die Zwillinge – schlaftrunken, rotnasig und zerknautscht – räkelten sich wie zwei Teenager auf einer Bank und ließen einen Becher Kaffee hin- und hergehen.
    Halb stubsend, halb tretend berührte Francis Henrys Schuhspitze.
    Henry schrak auf. »Oh«, sagte er. »Guten Morgen.«
    »Wie kannst du das sagen? Ich habe kein Auge zugetan. Ich habe seit ungefähr drei Tagen nichts mehr gegessen.«
    Henry markierte die Stelle in seinem Buch mit einem Leseband, klappte es zu und schob das Buch in die Brusttasche. »Na«, sagte er liebenswürdig, »dann geh und hol dir einen Kringel.«
    »Ich habe kein Geld.«
    »Dann gebe ich dir Geld.«
    »Ich will keinen verdammten Kringel.«
    Ich ging zu den Zwillingen hinüber und setzte mich.
    »Dir ist gestern nacht ganz schön was entgangen«, sagte Charles zu mir.
    »Hab’ ich schon gehört.«
    »Hughs Frau hat uns anderthalb Stunden lang Babyfotos gezeigt.«
    »Ja, mindestens«, sagte Camilla. »Und Henry hat Bier aus der Dose getrunken.«
    Schweigen.
    »Und was hast du gemacht?« fragte Charles.
    »Nichts. Hab’ mir einen Film im Fernsehen angeschaut.«
    Beide richteten sich auf. »Ach, wirklich? Das Ding mit den Planeten, die zusammenstoßen?«
    »Mr. Corcoran hatte es eingeschaltet, aber jemand hat den Sender gewechselt, bevor es zu Ende war«, sagte Camilla.
    In diesem Augenblick sah ich, wie sich Cloke Rayburn plötzlich durch die Menge drängte. Ich dachte, er sei auf dem Weg zu den Zwillingen und mir, aber er nickte uns bloß zu und ging zu Henry, der am Rande der Veranda stand.
    »Hör mal«, hörte ich ihn sagen, »ich hatte gestern abend keine Gelegenheit, mit dir zu reden. Ich hab’ die Typen in New York erreicht, und Bunny ist nicht da gewesen.«
    Henry schwieg einen Moment lang. Dann sagte er: »Ich dachte, du hättest gesagt, du kannst sie nicht erreichen.«
    »Na ja, möglich ist es schon; es ist bloß ein Riesentrouble. Aber sie haben ihn jedenfalls nicht gesehen.«
    »Woher weißt du das?«
    »Was?«
    »Ich dachte, du hättest gesagt, du könntest ihnen kein Wort glauben.«
    Cloke machte ein verblüfftes Gesicht. »Hab’ ich das?«
    »Ja.«
    »Hey, jetzt hör mal zu«, sagte Cloke und nahm die Sonnenbrille ab. Seine Augen waren blutunterlaufen und verquollen. »Diese Typen sagen die Wahrheit. Ich hab’ mir das vorher nicht überlegt – na ja, ich schätze, es ist ja auch noch nicht so lange her –, aber jedenfalls, die Geschichte steht in allen New Yorker Zeitungen. Wenn die ihm wirklich was getan hätten, dann würden sie nicht in ihrem Apartment rumhängen und sich von mir anrufen lassen ... Was ist denn los, Mann?«« fragte er nervös, als Henry nicht reagierte. »Du hast doch wohl niemandem was gesagt, oder?«
    Henry machte ein unbestimmtes Geräusch in der Kehle, das alles mögliche bedeuten konnte.
    »Na?«
    »Niemand hat mich gefragt«, sagte Henry.
    Sein Gesicht war ausdruckslos. Cloke wartete sichtlich beunruhigt, daß er weiterredete. Schließlich setzte er mit beinahe defensiver Gebärde seine Sonnenbrille wieder auf.
    »Tja«, sagte er. »Äh ... okay. Dann bis später.«
    Als er gegangen war, wandte Francis sich zu Henry um und sah ihn verständnislos an. »Was, um alles in der Welt, hast du vor?«
    Aber Henry gab keine Antwort.
     
    Der Tag verging wie ein Traum. Stimmen, Hundegebell, das Knattern des Hubschraubers am Himmel. Es ging ein starker Wind, der in den Bäumen rauschte wie ein

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