Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Kartoffelchips geschmissen, und in jedem Zimmer lief der Fernseher. Es war die Hölle ... Wirklich«, sagte er ernst, als ich anfing zu lachen, »ich glaube, nach dieser Nacht könnte ich alles überstehen. Einen Atomkrieg überleben. Ein Flugzeug fliegen. Eins von diesen verdammten kleinen Gören hat sich meinen Lieblingsschal vom Bett geholt und eine Hühnerkeule darin eingewickelt. Den hübschen Seidenschal mit dem Uhrenmuster drauf. Er ist ruiniert.«
»Haben sie sich aufgeregt?«
»Wer, die Corcorans? Natürlich nicht; ich glaube, die haben es gar nicht bemerkt.«
»Ich meine nicht den Schal.«
»Oh.« Er nahm sich noch eine Kirsche aus dem Glas. »Aufgeregt waren sie irgendwie alle, nehm’ ich an. Keiner hat viel über etwas anderes geredet, aber sie kamen mir nicht vor, als seien sie von Sinnen oder so was. Mr. Corcoran tat eine Zeitlang ganz traurig und besorgt, und ehe man sich’s versah, spielte er plötzlich mit dem Baby und goß allen Bier ein.«
»War Marion da?«
»Ja, und Cloke auch. Er fuhr mit Brady und Patrick weg, und als er wiederkam, stank er nach Pot. Henry und ich saßen die ganze Nacht auf der Heizung und redeten mit Mr. Corcoran. Ich glaube, Camilla ging hinüber, um Hugh und seiner Frau guten Tag zu sagen, und blieb da hängen. Was aus Charles geworden ist, weiß ich nicht mal.«
Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Hast du eigentlich schon mal gemerkt, wie komisch das alles auf irgendeine grauenhafte Art ist?«
»Na, so komisch ist es eigentlich nicht.«
»Wohl nicht«, sagte er und zündete sich mit zitternden Händen eine Zigarette an. »Und Mr. Corcoran hat gesagt, heute kommt auch noch die Nationalgarde dazu. Was für ein Schlamassel!«
Seit einer Weile starrte ich jetzt schon das Kirschenglas an, ohne mir bewußt zu werden, was es eigentlich war. »Wieso ißt du die?« fragte ich jetzt.
»Ich weiß nicht«, sagte er und schaute stumpf in das Glas. »Sie schmecken wirklich übel.«
»Dann wirf sie weg.«
Er kämpfte mit dem Schiebefenster, bis es mit einem mahlenden Geräusch nach oben glitt.
Ein Schwall eisiger Luft wehte mir ins Gesicht. »Hey«, sagte ich.
Er warf das Glas zum Fenster hinaus und stemmte sich dann mit seinem ganzen Gewicht auf den Rahmen. Ich ging hinüber, um ihm zu helfen. Schließlich krachte das Fenster herunter; die Gardinen schwebten herab und kamen zu beiden Seiten friedlich zur Ruhe. Der Kirschsaft war im Flug verspritzt und hatte eine rote Spur im Schnee hinterlassen.
»Hat was von Jean Cocteau, nicht?« meinte Francis. »Ich bin müde. Wenn du nichts dagegen hast, werde ich jetzt baden.«
Er ließ das Wasser einlaufen, und ich war auf dem Weg zur Tür, als das Telefon klingelte.
Es war Henry. »Oh«, sagte er. »Entschuldige. Ich dachte, ich hätte Francis’ Nummer gewählt.«
»Hast du auch. Moment.« Ich ließ den Hörer sinken und rief Francis.
Er kam in Hose und Unterhemd herein; sein Gesicht war halb von Schaum bedeckt, und er hielt ein Rasiermesser in der Hand. »Wer ist es?«
»Henry.«
»Sag ihm, ich bin im Bad.«
»Er ist nicht im Bad«, sagte Henry. »Er ist bei dir im Zimmer. Ich kann ihn hören.«
Ich reichte Francis den Hörer. Er hielt ihn ein Stück weit weg, um ihn nicht mit Seifenschaum zu beschmieren.
Ich hörte Henry undeutlich reden. Gleich darauf riß Francis die schläfrigen Augen weit auf.
»O nein«, sagte er. »Nicht ich.«
Wieder Henrys Stimme, knapp und geschäftsmäßig.
»Nein, im Ernst, Henry. Ich bin müde und gehe jetzt schlafen, und es kommt überhaupt nicht in Frage ...«
Plötzlich veränderte sich seine Miene. Zu meiner großen Überraschung fluchte er laut und warf den Hörer dann so heftig auf die Gabel, daß die Telefonglocke nachklirrte.
»Was ist denn?« fragte ich.
Er starrte das Telefon an. »Zum Teufel mit ihm«, sagte er. »Er hat einfach aufgelegt.«
»Was ist denn los?«
»Er will, daß wir wieder mit dem verdammten Suchtrupp losziehen. Jetzt. Aber ich bin nicht wie er. Ich kann einfach nicht fünf oder sechs Tage hintereinander aufbleiben und ...«
»Jetzt? Aber es ist doch noch so früh?«
»Sie haben vor einer Stunde angefangen, sagt er. Zum Teufel mit ihm. Schläft er denn nie?«
Wir hatten nie über den Zwischenfall gesprochen, der sich ein paar Nächte zuvor in meinem Zimmer abgespielt hatte, und in der schläfrigen Stille des Autos fühlte ich die Notwendigkeit, die Sache zu klären.
»Weißt du, Francis«, sagte
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