Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
Vom Netzwerk:
all den Leuten in einem Zimmer schlafen. Ich werde die ganze Nacht wach sein.«
    Ich setzte mich auf eine Pritsche. Der Raum roch klamm und unbenutzt, und das Licht der Lampe über dem Billardtisch war grünlich und deprimierend.
    »Staubig ist es auch«, sagte Francis. »Ich finde, wir sollten einfach in ein Hotel ziehen.«
    Lautstark schniefend, beschwerte er sich über den Staub, während er einen Aschenbecher suchte. Von mir aus hätte tödliches Radon in den Raum sickern können; mir wäre es egal gewesen. Ich fragte mich nur, wie im Namen des Himmels und eines barmherzigen Gottes ich die vor mir liegenden Stunden überstehen sollte. Wir waren erst seit zwanzig Minuten da, und schon hätte ich mich am liebsten erschossen.
    Francis klagte immer noch, und ich war nach wie vor verzweifelt, als Camilla die Treppe herunterkam.
    Sie trug schwarze Ohrringe, Lackschuhe und ein enggeschnittenes schwarzes Samtkostüm.
    »Hallo«, sagte Francis und reichte ihr eine Zigarette.»Laß uns ins Ramada Inn ziehen.«
    Als sie die Zigarette zwischen ihre ausgetrockneten Lippen
steckte, erkannte ich, wie sehr ich sie in den letzten paar Tagen vermißt hatte.
    »Oh, ihr habt’s gar nicht so schlecht«, sagte sie. »Letzte Nacht mußte ich mit Marion schlafen.«
    »Im selben Zimmer?«
    »Im selben Bett .«
    Francis riß bewundernd und entsetzt zugleich die Augen auf. »Oh, wirklich? Oh, ich muß schon sagen. Das ist grauenhaft«, sagte er in gedämpftem, respektvollem Ton.
    »Charles ist jetzt oben bei ihr. Sie ist hysterisch, weil jemand das arme Mädchen eingeladen hat, das mit euch zusammen hergekommen ist.«
    »Wo ist Henry?«
    »Habt ihr ihn noch nicht gesehen?«
    »Gesehen schon. Aber nicht mit ihm gesprochen.«
    Sie schwieg und blies eine Rauchwolke von sich. »Wie kommt er euch vor?«
    »Er hat schon besser ausgesehen. Warum?«
    »Weil er krank ist. Diese Kopfschmerzen.«
    »Die schlimmen ?«
    »Das sagt er wenigstens.«
    Francis schaute sie ungläubig an. »Wie kann er dann aufsein und herumlaufen?«
    »Keine Ahnung. Er ist vollgestopft mit Medikamenten. Er hat seine Tabletten, und die nimmt er seit Tagen.«
    »Ja, und wo ist er jetzt? Warum ist er nicht im Bett?«
    »Ich weiß nicht. Mrs. Corcoran hat ihn gerade zu ›Cumberland Farms‹ hinuntergeschickt, damit er einen Liter Milch für das verdammte Baby holt.«
    »Kann er denn Auto fahren ?«
    »Keine Ahnung.«
    »Francis«, sagte ich, »deine Zigarette.«
    Er sprang auf, griff zu hastig danach und verbrannte sich die Finger. Er hatte sie auf die Kante des Billiardtisches gelegt; und die Glut war bis zum Holz heruntergebrannt; ein verkohlter Fleck breitete sich im Lack aus.
    »Jungs?« rief Mrs. Corcoran von oben. »Jungs? Habt ihr etwas dagegen, wenn ich eben herunterkomme, um nach dem Thermostaten zu sehen?«
    »Schnell«, wisperte Camilla und drückte ihre Zigarette aus. »Wir sollten hier unten nicht rauchen.«
    »Ist was da unten nicht in Ordnung?« fragte Mrs. Corcoran scharf. »Brennt da etwas?«
    »Nein, Ma’am«, sagte Francis; er wischte über den Brandfleck und versteckte hastig seinen Zigarettenstummel, als sie die Treppe herunterkam.
     
    Es war eine der schlimmsten Nächte meines Lebens. Das Haus füllte sich mit Leuten, und die Stunden vergingen in einem furchtbaren, streifigen Nebel von Verwandten, Nachbarn, weinenden Kindern, zugedeckten Tellern, blockierten Einfahrten, schrillenden Telefonen, grellen Lichtern, fremden Gesichtern, unbehaglicher Konversation. Irgendein schweinischer, hartgesichtiger Mann hielt mich stundenlang in einem Zimmer fest und brüstete sich mit Angelturnieren und Geschäften in Chicago und Nashville und Kansas City, bis ich schließlich um Entschuldigung bat und mich oben in einem Badezimmer einschloß.
    Das Abendessen wurde um sieben serviert, eine unappetitliche Kombination aus Gourmet-Service – Orzo-Salat, Ente in Campari, Mini- foie - gras -Pastetchen – und Sachen, die die Nachbarn gemacht hatten: Thunfisch-Aufläufe, Sülzen in Tupperware-Näpfen und ein entsetzliches Dessert namens »wacky cake«. Leute streiften mit Papptellern umher. Es war dunkel draußen, und es regnete. Hugh Corcoran ging hemdsärmelig mit einer Flasche umher, frischte Drinks auf, schob sich durch die dunkle, murmelnde Menge. Er streifte an mir vorbei, ohne mir einen Blick zuzuwerfen. Von allen Brüdern hatte er die größte Ähnlichkeit mit Bunny (Bunnys Tod kam mir allmählich vor wie ein furchtbarer Zeugungsakt: Immer neue Bunnys tauchten

Weitere Kostenlose Bücher