Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
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»Einer von euch vielleicht ein Bier?« fragte er.
Wir waren alle drei völlig verdattert. Niemand antwortete. Ich starrte ihn an, zitternd, aschgrau im Gesicht.
»Na, kommt, Jungs«, sagte er und zwinkerte. »Keiner?«
Endlich räusperte Francis sich rauh. »Äh, ich glaube, ich würde eins nehmen, ja.«
Schweigen.
»Ich auch«, sagte Sophie.
»Drei?« Mr. Corcoran sah mich jovial an und hielt drei Finger in die Höhe.
Ich bewegte den Mund, aber es kam kein Laut über meine Lippen.
Er legte den Kopf auf die Seite, als müsse er mich mit einem Auge fixieren. »Ich glaube, wir kennen uns noch nicht, oder, mein Junge?«
Ich schüttelte den Kopf.
»MacDonald Corcoran«, sagte er, beugte sich vor und streckte mir die Hand entgegen. »Kannst mich Mack nennen.«
Ich murmelte meinen eigenen Namen.
»Was?« fragte er fröhlich und hielt sich die Hand hinters Ohr.
Ich sagte ihn noch einmal, lauter jetzt.
»Ah! Du bist also der aus Kalifornien! Wieso bist du nicht braun,
mein Junge?« Er lachte laut über seinen Witz und ging das Bier holen.
Ich ließ mich in den Sessel fallen; ich war erschöpft, und fast war mir schlecht. Wir waren in einem überdimensionierten Raum wie aus dem Architectural Digest , mit Oberlichtern, einem Kamin aus Feldsteinen, weißen Ledersesseln, einem nierenförmigen Couchtisch - lauter modernem, teurem italienischen Zeug. Über die hintere Wand erstreckte sich eine lange Trophäenvitrine mit Pokalen, Wimpeln, Schul-und Sporterinnerungen; in ominöser Nachbarschaft dazu befanden sich mehrere große Totenkränze, die im Verband mit den Trophäen dafür sorgten, daß man beim Anblick dieser Ecke an das Kentucky-Derby denken mußte.
»Das ist ein wunderschöner Raum«, sagte Sophie. Ihre Stimme hallte zwischen den scharfkantigen Flächen und dem blanken Fußboden.
»Dank schön, Honey«, rief Mr. Corcoran aus der Küche. »Wir waren letztes Jahr in House Beautiful , und im Jahr davor im ›Heim und Wohnen‹-Teil der Times . Nicht ganz das, was ich mir selber aussuchen würde, aber Kathy ist die Innenarchitektin in dieser Familie, wißt ihr.«
Es läutete an der Tür. Wir schauten uns an. Es läutete noch einmal, zwei melodische Glockentöne, und Mrs. Corcoran kam klappernd von hinten durch das Haus nach vorn und ging an uns vorbei, ohne uns eines Wortes oder Blickes zu würdigen.
»Henry «, rief sie. »Deine Gäste sind hier.« Dann machte sie die Haustür auf. »Hallo«, sagte sie zu dem Boten, der draußen stand. »Welcher sind Sie? Vom ›Sunset Florists‹?«
»Ja, Ma’am. Bitte hier unterschreiben.«
»Einen Moment. Ich habe Sie vorhin angerufen. Ich möchte wissen, weshalb Sie all diese Kränze hier abgeliefert haben, als ich heute vormittag außer Haus war.«
»Ich habe sie nicht abgeliefert. Meine Schicht hat gerade erst angefangen.«
»Aber Sie sind doch von ›Sunset Florists‹, oder?«
»Ja, Ma’am.« Er tat mir leid. Er war noch Teenager und hatte Kleckse von fleischfarbenem Clearasil im ganzen Gesicht.
»Ich habe ausdrücklich darum gebeten, daß nur Blumenarrangements und Zimmerpflanzen hierher geschickt werden. Diese Kränze gehören alle ins Bestattungsinstitut.«
»Tut mir leid, Lady. Wenn Sie den Geschäftsführer anrufen oder so ...«
»Ich fürchte, Sie haben mich nicht verstanden. Ich wünsche diese Kränze nicht in meinem Haus zu haben. Ich wünsche, daß Sie sie sofort wieder in Ihren Wagen packen und zum Bestattungsinstitut fahren. Und versuchen Sie ja nicht, mir den hier auch noch zu geben«, fügte sie hinzu, als er einen bunten Kranz aus roten und gelben Nelken hochhielt. »Sagen Sie mir bloß, von wem er ist.«
Der Junge blinzelte auf sein Clipboard. »›Herzliches Beileid, Mr. und Mrs. Robert Bartle‹.«
»Ah«, sagte Mr. Corcoran, der gerade mit dem Bier zurückkam; er hatte kein Tablett, sondern hielt alle Gläser unbeholfen in den Händen. »Von Betty und Bob?«
Mrs. Corcoran ignorierte ihn. »Ich denke, Sie können ruhig anfangen und diese Farne hereinbringen«, sagte sie zu dem Boten und beäugte die folienumhüllten Töpfe voller Abscheu.
Als er gegangen war, begann sie die Farne zu inspizieren; sie hob die Wedel hoch, suchte nach welken Blättern und machte sich hinten auf den Briefumschlägen Notizen mit einem dünnen silbernen Drehbleistift. Zu ihrem Mann sagte sie: »Hast du gesehen, was die Bartles geschickt haben?«
»War das nicht nett von denen?«
»Nein, ich halte es offen gestanden nicht für angemessen,
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