Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
stützte sich auf seine Schaufel. Rot glühte ein Sonnenbrand auf seinem Nasenrücken.
»Was machst du?« fragte ich.
»Ein bißchen Salat auspflanzen.«
In der langen Stille, die folgte, bemerkte ich die Farnkräuter, die er an dem Nachmittag ausgegraben hatte, als wir Bunny umgebracht hatten. Milzfarn hatte er sie genannt, wie ich mich erinnerte; Camilla hatte noch eine Bemerkung über den hexenhaften Klang dieses Namens gemacht. Er hatte sie in den Schatten des Hauses gepflanzt, dicht am Keller, wo sie in der Kühle dunkel und schaumig wucherten.
Ich wankte einen Schritt zurück und hielt mich am Torpfosten fest. »Wirst du diesen Sommer hierbleiben?« fragte ich.
Er sah mich aufmerksam an und klopfte sich die Hände an der Hose ab. »Ich denke, ja«, sagte er. »Und du?«
»Ich weiß noch nicht.« Ich hatte noch niemandem davon erzählt; erst einen Tag zuvor hatte ich mich im Studentensekretariat um einen Job als Haushüter in Brooklyn beworben; ein Geschichtsprofessor dort wollte den Sommer über zum Studium nach England. Es klang ideal – eine mietfreie Wohnung in einer hübschen Gegend von Brooklyn und keine Pflichten außer Blumengießen und der Versorgung zweier Boston-Terrier. Ich war noch nie in Brooklyn gewesen und wußte nichts darüber, aber mir gefielen die Vorstellung, in einer Großstadt zu leben – in irgendeiner Großstadt, vor allem in einer fremden –, und der Gedanke an Verkehr und Menschenmengen und die Arbeit in einem Buchladen oder als Kellner in einem Coffeeshop – wer weiß, in welches seltsame Einsiedlerleben ich da hineinrutschen würde? Allein essen, abends mit den Hunden spazierengehen und niemand, der wußte, wer ich war.
Henry sah mich immer noch an. Er schob seine Brille hoch. »Weißt du«, sagte er, »es ist noch ziemlich früh am Nachmittag.«
Ich lachte; ich wußte, was er dachte: erst Charles, jetzt ich. »Ich bin okay«, sagte ich.
»Ja?«
»Natürlich.«
Er machte sich wieder an die Arbeit: stieß die Schaufel in den Boden, trat dann mit einem von einer Khaki-Gamasche umhüllten Fuß hart auf eine Seite des Schaufelblatts. »Dann kannst du mir ja hier mit dem Salat helfen«, sagte er. »Im Werkzeugschuppen ist noch ein Spaten.«
Spät in der Nacht – es war zwei Uhr morgens – hämmerte meine Hausvorsitzende an meine Zimmertür und schrie, da sei ein Anruf für mich. Schlaftrunken zog ich meinen Bademantel über und taperte die Treppe hinunter.
Es war Francis. »Was willst du?« fragte ich.
»Richard, ich habe einen Herzanfall.«
Ich blickte mit einem Auge zu meiner Hausvorsitzenden hinüber
- Veronica, Valerie, ich weiß nicht mehr, wie sie hieß –, die mit verschränkten Armen neben dem Telefon stehengeblieben war und in sorgenvoller Haltung den Kopf schräg gelegt hatte. Ich wandte ihr den Rücken zu. »Dir fehlt nichts«, sagte ich ins Telefon. »Geh wieder schlafen.«
»Hör doch.« Panik lag in seiner Stimme. »Ich habe einen Herzanfall. Ich glaube, ich werde sterben.«
»Nein, wirst du nicht.«
»Ich habe alle Symptome. Schmerzen im linken Arm. Beklemmungen in der Brust. Atemnot.«
»Was soll ich denn machen?«
»Du sollst herkommen und mich ins Krankenhaus fahren.«
»Wieso rufst du keinen Krankenwagen?« Ich war so verschlafen, daß mir immer wieder die Augen zufielen.
»Weil ich Angst habe vor dem Krankenwagen«, sagte Francis, aber was er noch sagte, konnte ich nicht verstehen, weil Veronica, die bei dem Wort Krankenwagen die Ohren gespitzt hatte, sich aufgeregt einschaltete.
»Wenn du einen Sanitäter brauchst – die Typen oben vom Wachdienst können Erste Hilfe«, sagte sie eifrig. »Sie haben von Mitternacht bis sechs Rufbereitschaft. Außerdem haben sie einen Fahrdienst zum Krankenhaus. Wenn du willst, hole ich ...«
»Ich brauche keinen Sanitäter«, sagte ich. Francis wiederholte am anderen Ende völlig außer sich immer wieder meinen Namen.
»Ich bin hier«, sagte ich.
»Richard?« Seine Stimme klang schwach und gehaucht. »Mit wem redest du da? Was ist los?«
»Gar nichts. Jetzt hör zu ...«
»Wer sagt da was von Sanitätern?«
»Niemand. Jetzt hör zu. Hör zu «, sagte ich, als er versuchte, über mich hinwegzureden. »Beruhige dich. Sag mir, was du hast.«
»Ich will, daß du rüberkommst. Ich fühle mich wirklich schlecht. Ich glaube, mein Herz hat gerade für einen Moment aufgehört zu schlagen. Ich ...«
»Geht’s da um Drogen?« fragte Veronica in vertraulichem Ton.
»Hör mal«, sagte ich zu
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