Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
vorstellen? Er kann sie nicht mal erreichen, weil sie sich unter einem anderen Namen eingemietet hat. Henry sagt gar nichts. Mir übrigens auch nicht. Charles ist absolut außer sich. Er hat mich gebeten, Henry anzurufen und zu sehen, ob ich nichts aus ihm rauskriege. Aber ich hab’s natürlich nicht geschafft. Er war wie eine Mauer.«
»Was soll denn dieser Aufstand? Warum diese Heimlichtuerei?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum Camilla all das tut, aber was Henry angeht, denke ich, er benimmt sich sehr töricht.«
»Vielleicht hat sie ihre Gründe.«
»Nein, nein«, erwiderte Francis genervt. »Ich kenne Henry. Das ist genau die Sorte Sachen, die er macht, und genau die Art, wie er sie macht. Aber selbst wenn es einen guten Grund dafür gäbe, ist es die falsche Art. Besonders jetzt. Charles kriegt Zustände. Henry sollte klug genug sein, ihn nach der Nacht neulich nicht weiter gegen sich aufzubringen.«
Voller Unbehagen dachte ich an den Heimweg vom Polizeirevier. »Weißt du, da ist etwas, das ich dir erzählen wollte«, sagte ich und berichtete dann von Charles’ Ausbruch.
»Oh, er ist allerdings sauer auf Henry«, sagte Francis knapp. »Er hat mir das gleiche erzählt – daß Henry alles auf ihn abgeschoben hätte, im Prinzip. Aber was will er? Wenn man sich’s recht überlegt, finde ich nicht, daß Henry allzuviel von ihm verlangt hat. Das ist auch nicht der Grund, weshalb er wütend ist. Der wahre Grund ist Camilla. Willst du meine Theorie hören?«
»Ja?«
»Ich glaube, daß Camilla und Henry sich seit einer Weile miteinander rumdrücken. Und ich glaube, daß Charles schon geraume Zeit mißtrauisch ist, aber bis vor kurzem hatte er keinen Beweis. Dann hat er was herausgefunden. Ich weiß nicht genau, was«, sagte er, »aber es ist nicht schwer, es sich vorzustellen. Ich denke, es ist etwas, das er unten bei den Corcorans rausgefunden hat. Etwas, das er gesehen oder gehört hat. Und ich denke, es muß passiert sein, bevor wir kamen. Am Abend, bevor sie mit Cloke nach Connecticut fuhren, schien alles okay zu sein, aber du erinnerst dich, wie Charles war, als wir ankamen. Und als wir abreisten, sprachen sie nicht mal mehr miteinander.«
Ich erzählte Francis, was Cloke mir oben im Gang gesagt hatte.
»Gott weiß, was da passiert ist, wenn Cloke gerissen genug war, um es zu merken«, meinte Francis. »Henry war krank und konnte wahrscheinlich nicht allzu klar denken. Und in der Woche nachdem wir zurückgekommen waren, weißt du, als er sich in seiner Wohnung verkroch, da war Camilla, glaube ich, oft bei ihm, und ich denke, sie könnte sogar ein- oder zweimal die Nacht dort verbracht haben. Aber dann kam er wieder auf die Beine, und Camilla kam nach Hause, und danach war eine Zeitlang alles okay. Erinnerst du dich? Um die Zeit, als du mich ins Krankenhaus brachtest?«
»Das weiß ich nicht«, sagte ich und erzählte ihm von dem Glas, das ich zerbrochen im Kamin der Zwillinge hatte liegen sehen.
»Na, wer weiß, was da in Wirklichkeit vor sich ging. Jedenfalls schien es besser zu gehen. Und Henry war auch wieder guter Dinge. Dann kam dieser Streit, an dem Abend, an dem Charles dann im Gefängnis landete. Anscheinend will niemand genau sagen, worum es
idabei nun wieder ging, aber ich wette, es hatte etwas mit ihr zu tun. Und jetzt das. Gütiger Gott. Charles ist rasend vor Wut.«
»Glaubst du, er schläft mit ihr? Henry, meine ich?«
»Na, wenn nicht, dann hat er jedenfalls alles Menschenmögliche getan, um Charles davon zu überzeugen, daß er es tut.« Er stand auf. »Ich habe noch mal versucht, ihn anzurufen, bevor ich herkam«, sagte er. »Er war nicht da. Ich schätze, er ist im Albemarle. Ich werde mal vorbeifahren und sehen, ob sein Auto dasteht.«
»Es muß doch möglich sein, herauszufinden, in welchem Zimmer sie wohnt.«
»Darüber hab’ ich schon nachgedacht. Von der Rezeption ist nichts zu erfahren. Vielleicht hätte ich mehr Glück, wenn ich mit einem der Zimmermädchen reden könnte, aber ich fürchte, ich bin in diesen Dingen nicht allzu gut.« Er seufzte. »Ich wünschte, ich könnte sie nur fünf Minuten sehen.«
»Wenn du sie findest, glaubst du, du kannst sie überreden, wieder nach Hause zu kommen?«
»Ich weiß nicht. Ich muß sagen, ich hätte im Moment keine Lust, mit Charles zusammenzuwohnen. Aber ich denke immer noch, es wäre alles okay, wenn Henry sich raushalten wollte.«
Als Francis gegangen war, schlief ich wieder ein. Ich wachte um vier Uhr
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