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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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schätze, das dürfte an dem Abend gewesen sein, bevor sie Bunnys Leiche fanden. Sie wollten noch mal zu Charles, das weiß ich; aber Henry hat ihn telefonisch gewarnt, daß sie zu ihm unterwegs waren. Das war, als ich bei den Zwillingen wohnte. Na, ich hatte auch keine Lust, sie zu sehen; also verzog ich mich rüber zu Bram, und ich glaube, Charles ging einfach in irgendeine Kneipe und soff sich völlig zu.«
    Mein Herz klopfte so heftig, daß ich glaubte, es werde mir gleich in der Brust zerplatzen wie ein roter Ballon. Hatte Henry etwa Angst bekommen und versucht, das FBI auf mich zu hetzen? Das ergab keinen Sinn. Es gab keine Möglichkeit – zumindest keine, die ich hätte erkennen können –, mir etwas anzuhängen, ohne daß er sich selbst belastet hätte. Dann wiederum ( Paranoia , dachte ich, ich muß damit aufhören ) war es vielleicht kein Zufall gewesen, daß Charles an diesem Abend auf dem Weg zur Kneipe bei mir vorbeigekommen war. Vielleicht hatte er von all dem gewußt, war - ohne Henrys Wissen – herübergekommen und hatte mich erfolgreich aus der Gefahrenzone gelockt. »Du siehst aus, als ob du einen Drink gebrauchen könntest, Mann«, sagte Cloke.
    »Ja«, sagte ich. Ich hatte lange Zeit dagesessen, ohne ein Wort zu sagen. »Ja, das glaube ich auch.«
    »Wieso gehst du nicht heute abend in den ›Villager‹? Durstiger Donnerstag heute. Zwei Drinks zum Preis von einem.«
    »Gehst du hin?«
    »Alle gehen hin. Scheiße. Willst du mir etwa erzählen, du bist noch nie zum Durstigen Donnerstag gegangen?«
     
    Also ging ich zum Durstigen Donnerstag – mit Cloke und Judy, mit Sophie Dearbold und ein paar Freundinnen von Sophie und einer Menge anderen Leuten, die ich gar nicht kannte; ich weiß nicht, wann ich nach Hause kam, aber ich wachte erst am nächsten Abend um sechs auf, als Sophie an meine Tür klopfte. Ich hatte Magenschmerzen, und mein Schädel drohte zu platzen, aber ich zog meinen Bademantel an und ließ sie herein. Sie kam eben aus dem Keramikkurs und trug ein T-Shirt und eine ausgeblichene Jeans. Sie brachte mir ein getoastetes Brötchen aus der Snackbar.
    »Alles okay?« sagte sie.
    »Ja«, sagte ich, aber ich mußte mich an der Stuhllehne festhalten, um stehenzubleiben.
    »Du warst echt betrunken gestern abend.«
    »Ich weiß«, sagte ich. Nachdem ich aufgestanden war, fühlte ich mich plötzlich viel schlechter. Rote Flecken tanzten vor meinen Augen herum.
    »Ich hab’ mir Sorgen gemacht. Ich dachte, ich schau’ mal lieber nach.« Sie lachte. »Den ganzen Tag hat dich niemand gesehen. Dann hat jemand erzählt, daß die Fahne an der Einfahrt auf Halbmast hängt, und ich hatte Angst, du könntest vielleicht gestorben sein.«
    Ich setzte mich schwer atmend aufs Bett und starrte sie an. Ihr Gesicht kam mir vor wie ein halb erinnerter Traumfetzen. Bar? dachte ich. Da war diese Bar gewesen – irische Whiskeysorten und eine Runde Flippern mit Bram, und Sophies Gesicht blau im schmuddeligen Neonlicht. Noch mehr Kokain, mit einer Kreditkarte auf einer CD-Schachtel zu Lines zusammengeschoben. Dann eine Fahrt auf der Ladefläche eines Lasters, eine Gulf-Reklame am Highway ... eine Wohnung? Der Rest des Abends war schwarz. Unscharf erinnerte ich mich an ein langes, ernstes Gespräch mit Sophie vor einem mit Eiswürfeln gefüllten Spülbecken in einer fremden Küche (»MeisterBrau« und »Genessee«, ein Tolkien-Kalender an der Wand). Bestimmt – Angst schlang sich in meinem Magen zu einem Knoten –, bestimmt hatte ich nichts über Bunny gesagt. Bestimmt nicht. Halbwegs in Panik durchforschte ich mein Gedächtnis. Wenn ich es getan hätte, wäre sie jetzt bestimmt nicht bei mir im Zimmer und schaute mich an, wie sie es tat, hätte mir nicht diesen Toast auf dem Pappteller gebracht, dessen Geruch (es war ein Zwiebeltoast) mich würgen ließ.
    »Wie bin ich nach Hause gekommen?« fragte ich und sah zu ihr auf.
    »Weißt du es nicht mehr?«
    »Nein.« Das Blut hämmerte mir alptraumhaft in den Schläfen.
    »Dann warst du wirklich betrunken. Wir haben bei Jack Teitelbaum ein Taxi genommen.«
    »Und wohin sind wir gefahren?«
    »Hierher.«
    Hatten wir miteinander geschlafen? Ihr Gesichtsausdruck war neutral und ohne jeden Hinweis. Wenn ich es getan hatte, tat es mir nicht leid – ich mochte Sophie, und ich wußte, daß sie mich mochte, und außerdem war sie eins der hübschesten Mädchen in Hampden –, aber in solchen Dingen war man doch ganz gern sicher. Ich versuchte, mir zu

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