Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
vorbeikam, ›und einen schönen Tag noch.‹ Können Sie sich vorstellen, daß Julian schließlich Manning Williams anrief, meinen bösen Vorgänger, und ihm drohte, er werde kündigen, wenn sie nicht entfernt werde?« Er gluckste. »›Diese grausige Frau.‹ So hat er sie genannt. ›Ich ertrage es nicht, daß diese grausige Frau mich jedesmal anspricht, wenn ich vorbeigehe.‹«
Das war eine Geschichte, die in Hampden ziemlich geläufig war, und der Dekan hatte ein paar Sachen ausgelassen. Die Psychologin hatte nicht nur ihre eigene Tür offenstehen lassen, sie hatte auch versucht, Julian dazu zu bewegen, es ebenfalls zu tun.
»Um die Wahrheit zu sagen«, sagte der Dekan, »ich hatte es mir etwas klassischer vorgestellt. Öllampen. Diskuswerfer. Nackte Jünglinge, die auf dem Boden miteinander ringen.«
»Was wollen Sie?« fragte Camilla nicht sehr höflich.
Er hielt überrascht inne und schenkte ihr ein öliges Lächeln. »Wir müssen uns ein wenig unterhalten«, sagte er. »Mein Büro hat soeben erfahren, daß Julian sehr plötzlich fortgerufen wurde. Er hat sich auf unbestimmte Zeit beurlauben lassen und weiß nicht, wann er zurückkommen kann. Es versteht sich von selbst« – eine Phrase, die er mit delikatem Sarkasmus vortrug –, »daß Sie alle damit in eine ziemlich interessante Lage geraten, akademisch gesehen, zumal da es nur noch drei Wochen bis Semesterende sind. Wenn ich recht informiert bin, war es nicht seine Gewohnheit, Sie einer schriftlichen Prüfung zu unterziehen?«
Wir starrten ihn an.
»Haben Sie Hausarbeiten geschrieben? Ein Lied gesungen?« Wie pflegte er Ihre Abschlußzensuren festzulegen?«
»Mit einer mündlichen Prüfung zu den Tutorien«, sagte Camilla, »und einer Semesterarbeit für den Kurs in Kulturgeschichte.« Sie war als einzige gefaßt genug, um etwas zu sagen. »Für das Sprachseminar eine umfangreiche Übersetzung aus dem Englischen ins Griechische nach einem Text seiner Wahl.«
Der Dekan tat, als erwäge er das alles. Dann holte er Luft und sagte: »Das Problem, dem Sie gegenüberstehen, besteht – wie Ihnen zweifellos bewußt ist – darin, daß wir zur Zeit keinen anderen Lehrer haben, der Ihren Kurs übernehmen könnte. Mr. Delgado kann Griechisch lesen; er wäre zwar, sagte er, mit Vergnügen bereit, sich Ihre schriftlichen Arbeiten anzusehen, aber er ist mit
der Lehre in diesem Semester voll ausgelastet. Julian selbst war alles andere als hilfreich in dieser Frage. Ich habe ihn gebeten, einen möglichen Vertreter vorzuschlagen, und er sagte, er wisse keinen.«
Er nahm ein Stück Papier aus der Tasche. »Nun, hier sind die drei möglichen Alternativen, die mir einfallen. Die erste wäre, Sie setzen jetzt aus und beenden die Kursarbeit im Herbst. Die Sache ist allerdings die, daß ich ganz und gar nicht sicher bin, daß die literatur- und sprachwissenschaftliche Fakultät noch einmal einen Altsprachenlehrer einstellen wird. Das Interesse an dem Fach ist ja so gering, und anscheinend ist man sich allgemein darin einig, daß es abgeschafft werden sollte, zumal wir im Augenblick bemüht sind, die neue Semiotik-Abteilung aufzubauen.« Er holte tief Luft. »Die zweite Alternative ist, Sie setzen jetzt aus und beenden die Arbeit im Sommerkurs. Die dritte Möglichkeit ist, wir beschaffen – befristet , wohlgemerkt – einen Ersatzlehrer. Aber Sie müssen sich darüber im klaren sein: Zum jetzigen Zeitpunkt ist es höchst zweifelhaft, daß wir das Studium der klassischen Sprachen in Hampden weiter anbieten werden. Sollten Sie sich entschließen, bei uns zu bleiben, bin ich sicher, daß die Englisch-Abteilung Sie unter minimaler Pflichtstunden-Einbuße wird aufnehmen können; ich nehme allerdings an, daß jeder von Ihnen zur Erfüllung der Anforderungen in dieser Fakultät mit zwei Semestern Arbeit zusätzlich und über das von Ihnen für Ihr Examen vermutlich Veranschlagte hinaus zu rechnen hat. Jedenfalls ...« Er schaute auf seine Liste. »Sie haben bestimmt von Hackett gehört, der Vorbereitungsschule für Jungen«, sagte er. »Hackett verfügt über ein ausgedehntes Angebot auf dem Gebiet der klassischen Sprachen. Ich habe heute morgen mit dem Schulleiter gesprochen, und er sagte, er sei gern bereit, zweimal wöchentlich einen Lehrer herüberzuschicken, der Sie beaufsichtigen kann. Diese Lösung mag aus Ihrer Perspektive vielleicht als die beste erscheinen, aber sie wäre keineswegs ideal, weil sie gewissermaßen abhängig vom Wohlwollen ...«
Just
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