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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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National-Geographic- Heften stand.
    »Warst du schon mal in den Teergruben von La Brea?« fragte sie sachlich.
    »Nein.« Hilflos und perplex starrte ich auf mein Glas.
    »Stell dir vor, Charles«, rief sie in die Küche, »er lebt in Kalifornien und ist noch nie in den Teergruben von La Brea gewesen.«
    Charles erschien in der Tür und wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Wirklich nicht? « fragte er mit kindlichem Erstaunen. »Warum nicht?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Aber es ist so interessant da. Wirklich, stell’s dir nur mal vor.«
    »Kennst du hier viele Leute aus Kalifornien?« fragte Camilla.
    »Nein.«
    »Du kennst Judy Poovey.«
    Ich war verblüfft; woher wußte sie das? »Ich bin nicht mit ihr befreundet«, sagte ich.
    »Ich auch nicht«, sagte sie. »Letztes Jahr hat sie mir einen Drink ins Gesicht geschüttet.«
    »Davon hab’ ich gehört«, sagte ich lachend, aber sie lächelte nicht mal.
    »Glaube nicht alles, was du hörst«, sagte sie und nahm einen kleinen Schluck aus ihrem Glas. »Weißt du, wer Cloke Rayburn ist?«
    Ich wußte, wer er war. Es gab eine schwer zugängliche, schicke Clique aus Kaliforniern in Hampden, überwiegend aus San Francisco und L. A.; Cloke Rayburn war ihr Mittelpunkt – gelangweiltes Lächeln, schläfrige Augen und Zigaretten. Die Mädchen aus Los Angeles, Judy Poovey nicht ausgenommen, waren ihm fanatisch ergeben. Er war der Typ, den man auf Parties in der Herrentoilette traf, wo er am Waschbeckenrand kokste.
    »Er ist ein Freund von Bunny.«
    »Wie kommt das denn?« fragte ich überrascht.
    »Sie sind zusammen zur Schule gegangen. In Saint Jerome’s in Pennsylvania.«
    »Du kennst Hampden«, sagte Charles und nahm einen großen Schluck von seinem Drink. »Diese progressiven Schulen lieben den Problemstudenten, den ›Underdog‹. Cloke kam von irgendeinem College in Colorado hierher, nach seinem ersten Jahr dort. Er war jeden Tag Ski laufen gegangen und in jedem Kurs durchgefallen. Hampden ist die Endstation ...«
    »Für die Versager der Welt.« Camilla lachte.
    »Ach, ihr übertreibt«, sagte ich.
    »Na, in gewisser Weise, denke ich, stimmt es«, sagte Charles. »Die Hälfte der Leute ist hier, weil sie sonst nirgendwo angenommen worden sind. Nicht, daß Hampden nicht eine wunderbare
Schule ist. Vielleicht ist es ja erst deshalb wunderbar. Nimm Henry zum Beispiel. Wenn er in Hampden nicht aufgenommen worden wäre, hätte er wahrscheinlich überhaupt nicht aufs College gehen können.«
    »Das kann ich nicht glauben«, sagte ich.
    »Na ja, es klingt auch absurd, aber er ist auf der High School nicht über die zehnte Klasse hinausgekommen, und – ich meine, welches anständige College nimmt einen, der nach der zehnten Klasse abgegangen ist? Und dann die Sache mit den standardisierten Tests. Henry hat sich geweigert, sie abzulegen – er wäre wahrscheinlich oben aus der Skala rausgeschossen, wenn er sie gemacht hätte, aber er hatte irgendwelche ästhetischen Einwände dagegen. Du kannst dir vorstellen, wie das auf einen Zulassungsausschuß wirkt.« Er nahm einen Schluck von seinem Drink. »Na, und wie bist du hier gelandet?«
    Der Ausdruck seiner Augen war schwer zu deuten. »Mir gefiel der Prospekt«, sagte ich.
    »Und für den Zulassungsausschuß war das sicher ein absolut plausibler Grund, dich aufzunehmen.«
    Ich sehnte mich nach einem Glas Wasser. Es war warm im Zimmer, ich hatte eine trockene Kehle, und der Whiskey hatte einen schlechten Geschmack in meinem Mund hinterlassen – nicht, daß es schlechter Whiskey gewesen wäre, im Gegenteil, aber ich hatte einen Kater, und ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen, und mir war ganz plötzlich sehr übel.
    Es klopfte an der Tür, und dann folgte ein ganzer Trommelwirbel. Wortlos kippte Charles seinen Drink hinunter und verschwand in der Küche, während Camilla zur Tür ging, um aufzumachen.
    Bevor die Tür ganz offen war, sah ich das Blinken kleiner runder Brillengläser. Mit einem Chor von Hallos kamen sie herein: Henry, Bunny mit einer braunen Tüte aus dem Supermarkt, und Francis, majestätisch in seinem langen schwarzen Mantel; eine schwarz behandschuhte Hand umklammerte den Hals einer Flasche Champagner. Er kam als letzter herein, beugte sich herunter und küßte Camilla – nicht auf die Wange, sondern auf den Mund, mit lautem, zufriedenem Schmatzen. »Hallo, meine Liebe«, sagte er. »Was für einen segensreichen Fehler wir begangen haben«, sagte er. »Ich habe Champagner, und

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