Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
ich meistens ebenso wenig fahrtüchtig wie er.
Die Zwillinge mochte ich am meisten. Sie behandelten mich auf eine fröhliche, beiläufige Weise, als wäre ich viel länger mit ihnen bekannt, als ich es war. Camilla war mir am liebsten, aber sosehr ich ihre Gesellschaft genoß, mir war dabei doch ein wenig unbehaglich - nicht etwa, weil es ihr an Charme oder Freundlichkeit gefehlt hätte, sondern weil ich meinerseits zu erpicht darauf war, sie zu beeindrucken. Ich freute mich darauf, sie zu sehen, und dachte oft und bang an sie, aber mit Charles fühlte ich mich wohler. Er hatte viel Ähnlichkeit mit seiner Schwester; er war impulsiv und großzügig, aber launischer als sie; manchmal hatte er lange Anfälle von Melancholie, aber er war auch sehr gesprächig, wenn er gerade nicht darunter litt. Aber in welcher Stimmung er auch war, ich verstand mich gut mit ihm. Wir liehen uns Henrys Auto und fuhren nach Maine, damit er dort in einer Bar, die ihm gefiel, ein Clubsandwich essen konnte, fuhren nach Bennington, Manchester und zur Greyhound-Rennbahn in Pownal, von wo er schließlich einen Hund, der fürs Rennen zu alt war, mit nach Hause brachte, nur um ihn vor dem Einschläfern zu bewahren. Der Hund hieß Frost; er liebte Camilla und folgte ihr überallhin. Henry zitierte lange Passagen über Emma Bovary und ihren Greyhound: »Sa pensée, sans but d’abord, vagabondait au hasard, comme sa Levrette, qui
faisait des cercles dans la campagne ...« Aber der Hund war schwach und überspannt, und eines strahlenden Dezembermorgens auf dem Land erlitt er einen Herzanfall, als er in munterer Jagd nach einem Eichhörnchen von der Veranda sprang. Das kam keinneswegs unerwartet; der Mann auf der Rennbahn hatte Charles gewarnt: Der Hund werde die Woche vielleicht nicht überleben; trotzdem waren die Zwillinge betrübt, und wir verbrachten einen traurigen Nachmittag damit, das Tier im Garten von Francis’ Haus zu begraben, wo eine von seinen Tanten einen sorgfältig angelegten Katzenfriedhof samt Grabsteinen hatte.
Bunny hatte der Hund ebenfalls gern. Das Tier machte jeden Sonntag lange, beschwerliche Spaziergänge über Land mit Bunny und mir, über Zäune und Bäche, durch Sümpfe und Wiesen. Bunny selbst ging so gern spazieren wie ein alter Krauter – seine Wanderungen waren so anstrengend, daß er Mühe hatte, jemanden zu finden, der mitging, wenn ich und der Hund es nicht taten –, aber diesen Spaziergängen hatte ich es zu verdanken, daß mir die Gegend um Hampden vertraut wurde, die Holzwege und Jagdpfade, die versteckten Wasserfälle und geheimen Badeseen.
Bunnys Freundin Marion war überraschend selten zugegen – zum Teil, glaube ich, weil er sie nicht dabeihaben wollte, aber vermutlich auch, weil sie sich für uns noch weniger interessierte als wir uns für sie. (»Sie ist gerne viel mit ihren Freundinnen zusammen«, sagte Bunny oft großspurig zu Charles und mir. »Da reden sie über Kleider und Jungs und all diesen Quatsch. Ihr wißt schon.«) Sie war eine kleine, nörgelige Blondine aus Connecticut, hübsch auf die gleiche landläufige, rundgesichtige Art, auf die auch Bunny gut aussah, und ihre Art, sich zu kleiden, war kindlich und schockierend matronenhaft zugleich – geblümte Röcke, Pullover mit Monogramm und zusammenpassende Handtaschen und Schuhe. Von Zeit zu Zeit sah ich sie aus der Ferne auf dem Spielplatz des Kinderhorts, der zur Abteilung für Elementarerziehung in Hampden gehörte; die Kinder aus der Stadt besuchten dort den Kindergarten und die Vorschule, und da war sie dann bei ihnen mit ihrem Monogramm-Pullover und blies in eine Trillerpfeife und versuchte, sie alle dazu zu bringen, daß sie die Klappe hielten und sich in einer Reihe aufstellten.
Niemand redete viel darüber, aber ich bekam mit, daß frühere, vergebliche Versuche, Marion in die Unternehmungen der Gruppe einzubeziehen, katastrophal geendet hatten. Sie mochte Charles, der für gewöhnlich zu allen höflich war und die unermüdliche
Fähigkeit besaß, mit jedermann Gespräche zu führen, von kleinen Kindern bis zu den Damen, die in der Cafeteria arbeiteten, und sie betrachtete Henry wie fast alle, die ihn kannten, mit einer Art furchtsamem Respekt; aber sie haßte Camilla, und zwischen ihr und Francis hatte es irgendeinen katastrophalen Zwischenfall gegeben, der so schrecklich gewesen war, daß niemand auch nur darüber sprechen wollte. Sie und Bunny hatten ein Verhältnis miteinander, wie ich es selten außer bei seit
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