Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Unterwäsche, Wollhose und Mantel) und ging, wie ich war, zu Dr. Roland ins Büro. Der Fußmarsch war lang und manchmal, wenn es schneite oder sehr windig war, strapaziös. Durchgefroren und erschöpft kam ich am Commons an, gerade als der Hausmeister das Gebäude für den Tag aufschloß. Dann ging ich hinunter in den Keller, um mich zu rasieren und zu
duschen, und zwar in einem nicht benutzten, ziemlich unheimlich aussehenden Raum – weiße Kacheln, freiliegende Rohrleitungen, ein Abfluß mitten auf dem Boden –, der im Zweiten Weltkrieg Teil einer Behelfskrankenstation gewesen war. Die Hausmeister holten hier das Wasser für ihre Putzeimer; es war also nicht abgesperrt, und es gab sogar eine Gasheizung. Ich verwahrte einen Rasierapparat, Seife und ein unauffällig gefaltetes Handtuch hinten in einem der leeren, verspiegelten Spinde. Dann ging ich ins Büro der sozialwissenschaftlichen Fakultät und machte mir dort auf der Kochplatte eine Dosensuppe und einen Instantkaffee, und wenn Dr. Roland und die Sekretärinnen eintrafen, war ich schon seit geraumer Zeit bei meinem Tagewerk.
Dr. Roland war inzwischen daran gewöhnt, daß ich die Arbeit schwänzte, häufig Ausreden vorbrachte und meine Aufgaben nie in der angegebenen Frist erledigte, und er sah diesen unverhofften Fleißausbruch mit Verblüffung und einigem Mißtrauen. Er lobte meine Arbeit und befragte mich eingehend; mehrmals hörte ich, wie er meine Metamorphose im Korridor mit Dr. Cabrini erörterte, dem Leiter der Psychologieabteilung und einzigen anderen Lehrer im Gebäude, der nicht für den Winter abgereist war. Zunächst hielt er es zweifellos für irgendeinen neuen Trick, den ich mir ausgedacht hatte. Aber als die Wochen vergingen und jeder neue, mit unermüdlichem Fleiß verbrachte Tag meinem Ruhmesblatt einen weiteren goldenen Stern hinzufügte, faßte er allmählich Vertrauen: zögernd erst, aber dann voller Triumph. Um den ersten Februar herum gab er mir sogar eine Gehaltsaufbesserung. Vielleicht hoffte er in seiner behavioristischen Art, daß er mich auf diese Weise zu noch größeren Höhen der Motivation würde anspornen können. Diesen Fehler sollte er indessen bedauern, als die Winterferien zu Ende waren und ich in mein behagliches kleines Zimmer im Monmouth House zurückkehrte und wieder in den alten Trott verfiel.
Ich arbeitete so lange bei Dr. Roland, wie ich es mit Anstand tun konnte, und ging dann zum Abendessen in die Snackbar im Commons. An bestimmten glücklichen Abenden gab es sogar Gelegenheit, danach noch irgendwo hinzugehen, und eifrig suchte ich die Schwarzen Bretter nach Meetings der Anonymen Alkoholiker oder Brigaddon- Aufführungen der städtischen High School ab. Meistens aber gab es nichts dergleichen, und um sieben wurde das Commons geschlossen, und ich konnte den weiten Heimweg durch Schnee und Dunkelheit antreten.
Die Kälte in dem Lagerhaus war schlimmer als irgend etwas, was
ich bis dahin oder seitdem erlebt habe. Wenn ich einen Funken Verstand gehabt hätte, wäre ich vermutlich losgezogen und hätte mir ein elektrisches Heizgerät gekauft, aber ich war ja erst vier Monate vorher aus einer der wärmsten Gegenden Amerikas gekommen und hatte nur eine dumpfe Vorstellung davon, daß solche Geräte existierten. Ich kam nie auf den Gedanken, daß etwa nicht die halbe Bevölkerung von Vermont ziemlich genau das gleiche erlebte wie das, was ich jede Nacht durchmachte: eine knochenzermalmende Kälte, die meine Gelenke schmerzen ließ, eine Kälte, so unerbittlich, daß ich sie in meinen Träumen fühlte: Eisschollen, verirrte Expeditionen, die Lichter von Suchflugzeugen über weißen Gipfeln, während ich allein im schwarzen arktischen Meer trieb. Morgens, wenn ich aufwachte, war ich so steif und zerschlagen, als hätte man mich verprügelt. Ich dachte, es käme daher, daß ich auf dem Fußboden schlief. Erst später wurde mir klar, daß es in Wahrheit von einem krampfartigen, gnadenlosen Zittern herrührte, bei dem sich meine Muskeln mechanisch wie unter einem elektrischen Impuls rhythmisch anspannten, die ganze Nacht hindurch, jede Nacht hindurch.
Erstaunlicherweise war Leo, der Hippie, ziemlich wütend darüber, daß ich nicht mehr Mandolinenspanten schnitt oder Leisten bog, oder was immer ich dort oben tun sollte. »Du nutzt mich aus, Mann«, heulte er jedesmal, wenn er mich sah. »Niemand schnorrt auf die Tour bei Leo. Niemand.« Irgendwoher hatte er die Schnapsidee, ich hätte Instrumentenbau studiert und sei in
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